LG Bonn, Urteil vom 31.05.2019 - 1 O 290/17
Tenor
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,
a)
an die Klägerin 34.359,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.051,63 € seit dem 03.11.2016 und aus einem Betrag von 30.307,81 € seit dem 28.09.2017 zu zahlen
und
b)
die Klägerin von der Gebührenforderung der Rechtsanwälte I & Collegen in Höhe von 1.778,92 € freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreites tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 08.11.2014 zwischen 12:00 Uhr und 12:15 Uhr auf der Bundesautobahn (BAB) ... in Fahrtrichtung Z bei Kilometer 30.038 im Bereich der Anschlussstelle K zwischen dem Autobahnkreuz K2 und der Anschlussstelle K3 ereignete.
Die Klägerin ist Kasko- und Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Pkw B ...# (...#), amtliches Kennzeichen $$-&& ...# des Zeugen A. Mit diesem Fahrzeug befuhr der Zeuge am Unfalltag gegen 12:00 Uhr die dreispurige BAB ... in Fahrtrichtung Z, die in dem genannten Streckenabschnitt keinen Seiten- beziehungsweise Standstreifen aufweist. Der Zeuge überholte zunächst den auf dem mittleren Fahrstreifen fahrenden Pkw L, in dem sich die Zeugen T und S2 befanden. Nachdem der Zeuge A wieder vor den Zeugen T und S2 eingeschert war, wollte er von der mittleren auf die rechte Fahrspur wechseln. Auf der rechten Fahrspur stand zu diesem Zeitpunkt die Beklagte zu 1. mit ihrem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Fahrzeug C ...#, amtliches Kennzeichen $$-&& ...#. Der Zeuge A fuhr mit seinem Pkw ungebremst auf das stehende Fahrzeug der Beklagten zu 1. auf. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist an der Unfallstelle auf 100 km/h begrenzt. Die weiteren Einzelheiten des Unfallherganges sind zwischen den Parteien streitig.
Durch die Kollision flogen Splitter und Fahrzeugteile umher, die das Fahrzeug des Zeugen S2 trafen. Der Zeuge S2 musste, da sich der Unfall unmittelbar vor ihm ereignete, auf die linke Spur ausweichen, um einen Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Zeugen A zu vermeiden.
Die Beklagte zu 1., die sich unangeschnallt und mit einer halb angezogenen Warnweste auf dem Fahrersitz ihres Fahrzeuges befand, wurde durch den Unfall schwer verletzt. Sie befindet sich aufgrund der erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen in einer Pflegeeinrichtung.
Die Klägerin behauptet, der Zeuge A sei mit normaler, den Verkehrsverhältnissen angepasster Geschwindigkeit gefahren, als er von der mittleren auf die rechte Fahrspur wechseln wollte. Im Zusammenhang mit diesem Spurwechsel sei es wegen dem auf der rechten Fahrbahn ohne Einschaltung der Warnblinklichtanlage stehenden Fahrzeug der Beklagten zu 1. zu dem Zusammenstoß gekommen. Das Anhalten der Beklagten zu 1. auf der Autobahn sei auch, was zwischen den Parteien unstreitig ist, nicht auf einen Defekt an dem von ihr geführten Fahrzeug zurückzuführen.
Der Klägerin sind durch ihre Schadensregulierung die nachfolgend beschriebenen und zwischen den Parteien unstreitigen Aufwendungen entstanden. Diese Positionen unter Anrechnung einer Mithaftung des Zeugen A in Höhe von 50% macht die Klägerin mit ihrer Klage wie folgt geltend:
a) Kasko-Aufwendungen
Wiederbeschaffungswert des Pkw des Zeugen A (brutto) 88.500,00 €
abzüglich Restwert - 29.440,00 €
(vgl. Schadenkalkulation Anlage K1 = Bl... - ... d.A.)
davon 50% = 29.530,00 €
abzüglich Selbstbeteiligung des Zeugen A - 1.000,00 €
verbleiben = 28.530,00 €;
b) Sachverständigenkosten (Rechnung Anlage K5 = Bl... d.A.) 1.622,14 €
Aufwendungen als Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer 10.036,47 €
(davon wegen der Inanspruchnahme durch den Zeugen S2 7.215,54 € zzgl. 887,72 € Rechtsanwaltskosten gemäß Regulierungsschreiben vom 11.02.2015 - Anlage K6 = Bl... - ... d.A. - sowie 1.933,21 € wegen der Beschädigungen an Fahrbahn und Leitplanken gemäß Regulierungsschreiben vom 30.06.2015 - Anlage K7 = Bl... d.A.)
davon 50% = 5.829,44 €.
Die Klägerin beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 34.359,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.051,63 € seit dem 03.11.2016 und aus einem Betrag von 30.307,81 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von der Gebührenforderung der Rechtsanwälte I & Collegen in Höhe von 1.778,92 € freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die am Unfalltag fast 74 Jahre alte Beklage zu 1. habe nach sich verlangsamender Fahrt aufgrund ihres sich rasant verschlechternden Allgemeinzustandes, der im Nachhinein als mögliche kurz vor dem Unfall aufgetretene intracerebrale Blutung diagnostiziert worden sei, auf der rechten Fahrspur angehalten. Diese Blutung habe zu einer hochgradigen Hemiparese geführt. Die Beklagte zu 1. habe vor der Kollision das Warnblinklicht an ihrem Pkw eingeschaltet. Der Zeuge A sei unmittelbar nach seinem Einscheren vor den Zeugen S2 und T weiter auf die rechte Fahrspur gewechselt. Der Zeuge A habe sein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit in einem Bereich von circa 140 km/h geführt. Er sei aus Unachtsamkeit auf den stehenden Pkw der Beklagten zu 1. aufgefahren und habe es unterlassen, sich vor seinem Spurwechsel über mögliche schon auf der rechten Fahrspur befindende Verkehrsteilnehmer zu vergewissern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen und Lichtbilder Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen, durch Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens sowie durch Beiziehung der Strafakte der Staatsanwaltschaft Q - ...# Js .../... A -. Wegen des Inhaltes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2016 (Bl... - ... d. A.), das schriftliche Gutachten des Sachverständigen X vom 29.11.2018 sowie den Inhalt der Beiakten verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht (§ 86 Abs.1 Satz 1 VVG) einen Anspruch auf Zahlung von 34.359,44 € nebst Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.778,92 € aus den §§ 18 Abs.1 Satz 1, 7 Abs.1 StVG in Verbindung mit den §§ 249 Abs.1 und Abs.2 Satz 1, 251 Abs.1 BGB und § 115 Abs.1 Satz 1 Ziffer 1. VVG. Hierfür haften die Beklagten gemäß § 115 Abs.1 Satz 4 VVG gesamtschuldnerisch.
1. Der streitgegenständliche Verkehrsunfall ist bei dem Betrieb der Fahrzeuge des Zeugen A und der Beklagten zu 1. entstanden (§ 7 Abs.1 StVG). Der Unfall ist auch weder durch höhere Gewalt verursacht worden (§ 7 Abs.2 StVG), noch war die Kollision für den Zeugen A und/oder für die Beklagte zu 1. unabwendbar im Sinne von § 17 Abs.3 StVG.
a) Durch höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs.2 StVG verursacht ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist und das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44.Aufl. 2017, § 7 StVG Rd.32 m.w.N.). Die beklagtenseits vorgetragenen streitigen gesundheitlichen Probleme der Beklagten zu 1. am Schadenstag stellen indes keine derartigen Einwirkungen von außen dar, weil sie von der Fahrerin des unfallbeteiligten Fahrzeuges ausgingen. Sie waren in Anbetracht des Lebensalters der Beklagten zu 1. auch nicht in diesem Sinne unvorhersehbar (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.1957 - VI ZR 135/56 = BGHZ 23, 90).
b) Ein Unfallereignis gilt nur dann als unabwendbar, wenn der jeweilige Halter und/oder Führer des beteiligten Fahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat (§ 17 Abs.3 Satz 2 StVG), der Unfall mithin auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dies setzt im Hinblick auf den Zeugen A und die Beklagte zu 1. als Fahrer der beteiligten Fahrzeuge voraus, dass sich diese am Unfalltage über den gewöhnlichen und subjektiven Maßstab hinaus in jeder Hinsicht sachgemäß und geistesgegenwärtig verhalten haben und damit den durchschnittlichen Fähigkeiten eines sogenannten "Idealfahrers" gerecht geworden sind (vgl. etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.08.2014 - 4 U 68/13 = juris Rd. 28; OLG Oldenburg NJW-RR 2012, 927, 928; LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013 - 18 O 354/10 = juris Rd.20). Die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Unabwendbarkeit sind von dem jeweils beteiligten Halter beziehungsweise Fahrzeugführer im Zivilprozess darzulegen und zu beweisen (vgl. OLG Oldenburg, aaO.; LG Bonn, aaO., juris Rd.22).
Gemessen an diesen Anforderungen war der Unfall für den Zeugen A schon deshalb kein unabwendbares Ereignis, weil dieser nach den sorgfältigen und in allen Punkten überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen X mehr oder weniger ungebremst mit einer (Kollisions-) Geschwindigkeit von 100 km/h (Toleranz 90...110 km/h) auf den stehenden und nicht mehr fahrenden Pkw der Beklagten zu 1. aufgefahren ist (vgl. insbesondere S.31, S.36, S.50 und S.53 des schriftlichen Gutachtens). Die von dem Sachverständigen sowohl wahrnehmungspsychologisch als auch im Hinblick auf die konkreten örtlichen Verkehrsverhältnisse ausgesprochen einleuchtend aufgezeigte Möglichkeit (vgl. S.38ff. ebenda), dass diese Kollision auf eine Unaufmerksamkeit beziehungsweise Abgelenktheit beziehungsweise eine nicht nach vorne ausgerichtete Konzentration des Zeugen A zurückgeführt werden könnte (vgl. insbesondere S.42 und S.53f. ebenda), wirkt sich zivilprozessual dahingehend aus, dass der Klägerin der ihr obliegende Beweis der Unabwendbarkeit nicht gelungen ist. Denn der eingangs definierte "Idealfahrer" hätte die von dem Sachverständigen zu Recht beschriebene gedanklich konzentrierte beziehungsweise fokussierte Aufmerksamkeit (S.40f. und S.54 ebenda) walten lassen. Dies gilt erst Recht in Verbindung mit dem Fahrstreifenwechsel des Zeugen, der nur unter Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vorgenommen werden durfte (§ 7 Abs.5 Satz 1 StVO).
Anschließend an diese Grundsätze war der Unfall auch für die Beklagte zu 1. nicht unabwendbar. Denn der Beklagten zu 1. war es gemäß § 18 Abs.8 StVO verboten, ihr Fahrzeug anzuhalten. Im Übrigen hatte sie mit allen zumutbaren Mitteln dafür zu sorgen, dass der nachfolgende Verkehr rechtzeitig gewarnt wird (vgl. § 15 StVO; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27.Aufl. 2015, 27.Kapitel Rd.480 m.w.N.).
2. Wegen der damit ursächlichen Beteiligung beider Fahrzeuge an dem streitgegenständliche Verkehrsunfall waren die Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten gegeneinander abzuwägen (§ 17 Abs.1 und Abs.2 StVG). Diese Abwägung führt zu jeweils hälftigen Verursachungsanteilen auf Seiten der Klägerin und der Beklagten.
a) Bei der hier im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Parteien dürfen nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die unstreitig oder nach § 286 ZPO bewiesen sind (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2006 - VI ZR 115/05 = juris Rd.15 = NJW 2006, 896; BGH NJW 2000, 3069, 3071; OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.08.2014 - 4 U 68/13 = juris, Rd.28). Nur vermutete Ursachenbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund einer bestehenden Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (BGH, aaO.; LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013, aaO. = juris Rd.23).
b) In Anwendung dieser Grundsätze ergeben sich folgende in diese Abwägung einzustellende Umstände:
- Der Zeuge A ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit dem rechten Frontbereich des B auf den linken Heckbereich des C aufgefahren, wobei die Kollisionswinkel der Längsachsen der Fahrzeuges grundsätzlich auf 0° Grad mit einer maximalen Toleranz von +/- 5° Grad eingegrenzt werden können (S.21 des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen X).
- Sowohl diese Kollisionswinkel als auch die Reifenspuren der Fahrzeuge belegen, dass beide Fahrzeuge ziemlich parallel zur Straße ausgerichtet waren, als es zu der Kollision kam (S.23 ebenda). Bei der Kollision befanden sich beide Fahrzeug "normal" auf der rechten Fahrspur, der B etwas mehr nach links, der C etwas mehr nach rechts ausgerichtet (S.24 ebenda). Dem entspricht die Aussage des Zeugen A (S.3 des Sitzungsprotokolls vom 26.01.2018 = Bl... d.A.).
- Der Zeuge A fuhr auf das Fahrzeug der Beklagten zu 1. mit einer (Kollisions-) Geschwindigkeit von 100 km/h auf (oben unter 1.b)).
- Nach dem unstreitigen Sachvortrag beider Parteien (§ 138 Abs.3 ZPO) stand das Fahrzeug der Beklagten zu 1. bei der Kollision. Die Beklagte zu 1. hatte bereits eine (Warn-) Weste halb angezogen. Die aufnehmenden Polizeibeamten stellten fest, dass sich die Automatikschaltung auf Position "P", mithin in Parkstellung befand (S.4 der Klageschrift). Dieses Vorbringen ist wegen des Beibringungsgrundsatzes im Zivilprozess der Entscheidung des Gerichts zugrunde zu legen, während der Sachverständige X insoweit etwas zurückhaltender von einem "prinzipiell stehenden oder langsam fahrenden C" spricht (vgl. S.39 oben, ebenda, mit Hinweis auf den strafverfahrensrechtlichen Maßstab auf S.39 unten).
- Die Kollision der Fahrzeuge ereignete sich nach dem Wechsel des Zeugen A von der mittleren auf die rechte Fahrspur. Dies ergibt sich aus den anschaulichen Angaben der Zeugen A (S.2ff. des Sitzungsprotokolls), H (S.6, ebenda), S (S.8f., ebenda), T (S.10, ebenda) und S2 (S.12, ebenda). Indes befand sich der Zeuge A aus den eingangs unter den ersten beiden Spiegelstrichen dargestellten Gründen auch "kurz" vor der Kollision bereits vollständig auf der rechten Fahrspur (S.51 des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen X). Die Aussage der Zeugin S, dass der Zeuge A bei der Kollision noch im Einschervorgang gewesen sei (S.9 des Sitzungsprotokolls), ist deshalb durch die technischen Feststellungen des Sachverständigen widerlegt. Gleichzeitig zeigen die Bekundungen aller Zeugen, dass zwischen dem Fahrspurwechsel des Zeugen A und der Kollision ein so kurzer Zeitraum lag, dass die Zeugen dies als ein noch eng zusammenhängendes Fahrmanöver wahrgenommen haben.
- Der Zeuge A fuhr auf das stehende Fahrzeug der Beklagten zu 1. nahezu ungebremst auf (oben unter 1.b)). Der Zeuge konnte nach den sorgfältigen und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen X in einer Entfernung von etwa 60 bis 75 Metern sicher erkennen, dass der C der Beklagten zu 1. stand (S.42ff., insbesondere S.47 des schriftlichen Gutachtens). Bei einer Reaktionszeit von insgesamt 1,2 bis 1,6 Sekunden und einem Anhalteweg des Zeugen A von etwa 76 bis 87 Metern war der Unfall durch ein Bremsmanöver des Zeugen räumlich nicht (mehr) zu vermeiden (S.48f. und S.53f., ebenda).
c) Nicht in die Abwägung nach § 17 Abs.1 und Abs.2 StVG einzustellen waren folgende streitige und nicht bewiesene Umstände:
aa) Die Einschaltung des Warnblinklichts durch die Beklagte zu 1. vor der Kollision kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Unterzeichners erforderlichen Gewissheit (§ 286 Abs.1 ZPO) bejaht werden. Zwar hat die Zeugin T dies in ihrer schriftlichen Äußerung gegenüber der Polizei vom 03.12.2014 bejaht (Bl... der Beiakte). In der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2018 hat die Zeugin demgegenüber erklärt, dass sie bis heute nicht wisse, ob die Warnblinklichtanlage an gewesen sei (S.10 des Sitzungsprotokolls) und dass ihre schriftliche Äußerung lediglich ihrer Vermutung entspreche und entsprochen habe (S.11, ebenda). Die Zeugin S hat zudem aus ihrer das Beklagtenfahrzeug gut wahrnehmbaren Sichtposition das Gegenteil bekundet (S.7 des Sitzungsprotokolls).
Den Beklagten ist insoweit der ihnen obliegende Beweis der Durchführung aller zumutbaren Sicherungsmaßnahmen (§§ 1 Abs.2, 15, 18 Abs.8 StVO; vgl. dazu BGH, Urteil vom 15.12.1970 - VI ZR 116/69 = NJW 1971, 431; OLG Köln, Urteil vom 24.04.1996 - 13 U 146/95 = juris Rd.47; Geigel/Freymann, aaO., 27.Kapitel Rd.480; Geigel/Kaufmann, ebenda, 25.Kapitel Rd.320) nicht gelungen. Allerdings kann hier in Ermangelung notwendiger positiver Feststellungen zur Dauer der der Beklagten zu 1. verbleibenden Zeit für die Aufstellung eines Warndreiecks kein Verstoß gegen § 15 Satz 2 StVO zu Lasten der Beklagten in diese Abwägung eingestellt werden (OLG Köln, aaO.).
bb) Ein die Verletzung der ihm aus den §§ 5 Abs.4a, 7 Abs.5 Satz 1 StVO (oben unter 1.b)) obliegenden Sorgfaltspflichten zumindest nahelegendes Fahrmanöver des Zeugen A dergestalt, dass dieser nach dem Überholen des Fahrzeuges der Zeugen S2 und T von der linken über die mittlere auf die rechte Fahrspur gezogen ist, hat die Beweisaufnahme nicht bestätigt.
Der Sachverständige X hat hierzu ausgeführt, dass dem Zeugen A sowohl ein derartiger "doppelter Spurwechsel" als auch zwei getrennte Spurwechsel innerhalb der ihm dafür zur Verfügung stehenden Strecke technisch möglich gewesen seien (S.38 des schriftlichen Gutachtens), indes ein Vergleich der Aussagen der Zeugen mit den örtlichen und technischen Gegebenheiten eher für einen Spurwechsel mit möglicher kurzer Verweildauer auf der mittleren Spur spräche (S.39 ebenda). Dieser Würdigung schließt sich der Unterzeichner an.
cc) Ein für die Kollision beider Fahrzeuge zumindest mitursächliches Fehlverhalten des Zeugen A in Form eines vorwerfbaren Aufmerksamkeitsdefizites (§ 1 Abs.1 und Abs.2 StVO) kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gleichsam nicht mit der gemäß § 286 Abs.1 ZPO für die Überzeugungsbildung des Unterzeichners erforderlichen Gewissheit festgestellt werden.
Zwar hat der Sachverständige X eine derartige Möglichkeit einleuchtend aufgezeigt (oben unter 1.b)). Indes hat der Sachverständige insoweit eine räumliche Vermeidbarkeit der Kollision und damit eine Unfallursächlichkeit eines möglichen Aufmerksamkeitsdefizites durch den Zeugen A ausdrücklich und mit gleichsam überzeugender Begründung verneint (S.52ff., insbesondere S.54 des schriftlichen Gutachtens). Dem entsprechen die anschaulichen Angaben der Zeugen A (S.2ff. des Sitzungsprotokolls), T (S.9ff., ebenda) und S2 (S.12f., ebenda), ausweislich derer weder eine vorherige rechtzeitige Wahrnehmung des stehenden Beklagtenfahrzeuges noch andere Reaktionen des Zeugen A zur Vermeidung einer Kollision gegeben waren.
Die Aussage der Zeugin S (S.7f., ebenda) rechtfertigt keine abweichende Würdigung, da die Zeugin den stehenden C aus einer anderen Sichtperspektive als der Zeuge A als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen hat. Denn die Zeugin war gerade auf die Autobahn aufgefahren und konnte in Geradeausrichtung vor sich auf der rechten Spur deutlich das Fahrzeug der Beklagten zu 1. sehen. Die Zeugin war auch gerade erst dabei, in Richtung 100 km/h zu beschleunigen, mithin diese Geschwindigkeit überhaupt erst zu erreichen.
dd) Auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises begründen weder die Bejahung eines verkehrswidrigen Verhaltens des Zeugen A, insbesondere dessen (Mit-) Verursachung des Unfalles durch einen Verstoß gegen die sich aus den §§ 3 Abs.1 und 4 Abs.1 StVO ergebenden Sorgfaltspflichten.
Der Beweis des ersten Anscheins setzt hier nämlich einen Geschehensablauf voraus, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Dabei muss es sich um einen Tatbestand handeln, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Deshalb spricht zwar bei Auffahrunfällen grundsätzlich der erste Anschein für ein unfallursächliches Verschulden des Auffahrenden (BGH NJW 2017, 1177f. Rd.10f. - für einen Auffahrunfall auf einer Autobahn; BGH NJW 2012, 608; KG NJW-RR 2014, 809, 810; OLG München, Urt. v. 25.10.2013 - 10 U 964/13 = juris Rd.6 und Rd.18). Dabei reicht aber allein das Kerngeschehen einer Kollision als "Auffahrunfall" prima facie nicht aus, wenn weitere Umstände vorliegen, die gegen eine bestimmte Typizität des Geschehensablaufes sprechen (BGH NJW 2017, 1177f. Rd.11 m.w.N.). Eine derartige Typizität ist hier schon in Anbetracht der Kollision der Zeugen A mit einem an der Unfallstelle stehenden ungesicherten Fahrzeug (oben unter 2.c)aa)) zu verneinen, zumal deutliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Unfall für den Zeugen A räumlich nicht zu vermeiden war (oben unter 2.b), letzter Spiegelstrich, und 2.c)cc)). Ein den Anscheinsbeweis begründender brauchbarer Erfahrungssatz kann auf eine derartige Unfallsituation nicht gestützt werden (vgl. auch BGH NVZ 2011, 177 Rd.8).
d) In Anbetracht des von einem Fahrstreifenwechsel auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von dem Fahrzeug des Zeugen A ausgehenden Gefahrenpotentials einerseits sowie der von dem auf der Autobahn stehenden ungesicherten Beklagtenfahrzeug andererseits ausgehenden Gefahr der nicht rechtzeitigen Wahrnehmbarkeit durch andere Verkehrsteilnehmer, die sich hier auch realisiert hat, erscheint gemäß § 17 Abs.1 und Abs.2 StVG im vorliegenden Fall eine hälftige Schadensteilung zwischen Kläger- und Beklagtenseite geboten (vgl. etwa OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2014 - 2 U 76/14 = BeckRS 2016, 04706; OLG Hamm, Urteil vom 29.10.2013 - 26 U 12/13 = BeckRS 2013, 20220; OLG Köln, Urteil vom 24.04.1996 - 13 U 146/95 = juris Rd.46f.; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15.Aufl. 2017, Rd.97 m.w.N.). Dabei bedurfte die Frage, ob die Beklagten zu 1. infolge ihrer gesundheitlichen Situation schuldlos gegen § 8 Abs.8 StVO verstoßen hat, keiner Vertiefung. Denn bei einem positiv zu bejahenden Verschulden der Beklagten zu 1. würde sich die hier angenommene Haftungsquote allenfalls noch zu Lasten der Beklagtenseite erhöhen (vgl. OLG Köln, aaO.).
3. Die der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitigen (§ 138 Abs.3 ZPO) Kasko-Aufwendungen, Sachverständigenkosten und Aufwendungen als Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer sind aus den §§ 249 Abs.2 und 251 BGB ersatzfähig. Sie setzen sich aus den im Tatbestand im Einzelnen aufgelisteten Positionen zusammen.
4. Die der Klägerin entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind dem Grunde nach ersatzfähig, weil die Inanspruchnahme der anwaltlichen Beratung in Anbetracht der hier zweifelhaften Verursachungs- und Verschuldensfragen zweckmäßig und erforderlich im Sinne der §§ 249f. BGB war (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 02.12.2014 - 22 U 171/13 = juris Rd.26 ff.; LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013 - 18 O 354/10 = juris Rd.33).
Die der Höhe nach unstreitigen Rechtsanwaltskosten von einer 1,3 Geschäftsgebühr gemä?Ziff. 2300 des VV zum RVG nebst Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr.7002 VV RVG) und Umsatzsteuer (Nr.7008 VV RVG) sind auf den Seiten 8f. der Klageschrift zutreffend berechnet.
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Abs.1, 286 Abs.1, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs.1, 100 Abs.4 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Streitwert: 34.359,44 €.