LG Wuppertal, Urteil vom 18.04.2019 - 4 O 347/17
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht die Zahlung von Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 09.12.2016 auf der X-Straße in Vereignete.
Die Beklagte zu 1 befuhr am 09.12.2016 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW VW Golf, amtliches Kennzeichen XXX, die X-Straße in V in Fahrtrichtung Osten. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt etwa in Höhe der von links einmündenden N-Straße auf dem rechten Bürgersteig vor den Hausnummern 51/53. Der Kläger betrat von rechts kommend die Fahrbahn. Unter zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umständen kam es zu einer Kollision zwischen dem Kläger und dem Beklagtenfahrzeug, wodurch der Kläger schwer verletzt wurde. Der Kläger wurde von der rechten Front des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 erfasst und fiel auf die Straße. Einige Meter nach der Kollision blieb die Beklagte zu 1 mit ihrem Fahrzeug stehen.
Der Kläger hat durch den Unfall einen fast kompletten Querschnitt sub C 5 bei Luxation HWK 4/5 erlitten.
Der Kläger behauptet, die Beklagte zu 1 sei mit mindestens 50 km/h gefahren. Er habe bevor er die Straße betreten habe nach links und rechts geschaut.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgels, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 100.000,00 EUR jedoch nicht unterschreiben soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.12.2016 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Kläger habe die Fahrbahn unvermittelt ohne zu gucken betreten.
Die Beklagten sind der Auffassung, dass der Unfall durch den Kläger auf eine Weise allein schuldhaft verursacht worden sei, dass dahinter die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurücktrete. Darüber hinaus sei der Unfall für die Beklagte zu 1 auch unabwendbar gewesen.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien sowie der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
Die Akte der Staatsanwaltschaft Wuppertal Az. 922 JS 163/17 hat das Gericht beigezogen. Das Gericht hat Beweiserhoben durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen M auf das schriftliche Gutachten vom 16.01.2019 wird Bezug genommen. Das Gericht hat ferner Beweiserhoben durch Vernehmung des Zeugen D. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2018 Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Beklagten hinsichtlich der geltend gemachten immateriellen Schäden kamen vorliegend alleine auf der Grundlage der §§ 7, 9, 18 StVG, §§ 823 ff., 249ff. BGB, § 115 VVG in Betracht. Die Voraussetzungen für eine derartige Haftung liegen jedoch nicht vor.
Der Kläger ist bei Betrieb des Beklagtenfahrzeugs im Sinne der Regelung des § 7 Abs. 1 StVG verletzt worden. Die (gegebenenfalls anteilige) Haftung der Unfallbeteiligten bestimmt sich demzufolge gemäß den Regelungen der § 9 StVG, §§ 823, 254 BGB nach den jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteilen der Beteiligten, wobei nur die feststehenden (unstreitigen oder bewiesenen) Umstände des Unfallgeschehens berücksichtigt werden dürfen. Dabei kann auch ein im Einzelfall gegen einen der Beteiligten sprechender Anscheinsbeweis herangezogen werden.
Die gebotene Abwägung führt aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls dazu, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gegenüber dem schuldhaften Verhalten des Klägers vollständig zurückzutreten hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem Kläger bereits ein derart grobes eigenes Verschulden zur Last zu legen sein mag, dass gegenüber diesem die bloße, nicht durch ein (anteiliges) Verschulden der Beklagten zu 1 erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurücktritt. Denn unabhängig hiervon stellt sich das Unfallgeschehen für die Beklagten jedenfalls als ein unabwendbares Ereignis im Sinne der Regelungen der §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 3 StVG dar. Im Einzelnen ist hierzu auszuführen wie folgt:
Gegen den Kläger spricht der Beweis des ersten Anscheins, dass dieser gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten aus § 25 Abs. 3 StVO verstoßen hat. Ein derartiger Anscheinsbeweis ist zu bejahen, wenn der Fußgänger die Fahrbahn unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO betritt (vgl. (Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 25 StVO, Rn. 139; vgl. auch KG NZV 2007,80).
Ein derartiger Verstoß ist im vorliegenden Fall bereits auf Grundlage der unstreitigen
Umstände gegeben. Denn die gemäß der vorgenannten Regelung bestehende Pflicht zur Beachtung des Fahrverkehrs durch den Fußgänger beinhaltet, dass der Fahrzeugverkehr außerhalb von Fußgängerüberwegen grundsätzlich Vorrang hat, weil die Fahrbahn in erster Linie dem Fahrzeugverkehr dient. Sie beinhaltet ferner, dass die Fahrbahn an einer derartigen Stelle nur besonders sorgfältig überquert werden darf. Niemand darf die Fahrbahn betreten, ohne sich vorher zu vergewissern, dass kein Fahrzeug naht. Bei Annäherung eines Fahrzeugs ist zu warten, es darf nicht behindert oder zu anderem Fahren genötigt werden. Kurz vor einem Fahrzeug darf ein Fußgänger die Fahrbahn nicht zu überqueren versuchen; darauf darf der Kraftfahrer vertrauen (vgl Rogler in: Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 25 StVO, Rn. 159 ff.).
Gegen diese Pflicht hat der Kläger verstoßen. Denn unstreitig hat sich die Kollision auf der Fahrbahn der X-Straße ereignet. Unstreitig ist ferner, dass sich die Kollision auf der Fahrbahnhälfte ereignet hat, die durch die Beklagte zu 1 befahren wurde. Ebenfalls unstreitig ist, dass zu dem Zeitpunkt, als der Kläger die Fahrbahn der C-Straße querte, sich mindestens das Beklagtenfahrzeug näherte, und ein vollständiges Queren der Fahrbahn unter Berücksichtigung dieses sich nähernden Fahrzeugs für den Kläger nicht gefahrlos möglich war. Dies folgt bereits aus dem Eintritt der streitgegenständlichen Kollision. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Fahrbahn der X-Straße in diesem Bereich gerade verläuft und für den Kläger auf weiter Entfernung - dies gilt für beide Richtungen von der Unfallstelle aus - gut einsehbar war.
Der Kläger hat nicht vermocht, den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Ein Anscheinsbeweis ist nur dadurch zu entkräften, dass Tatsachen dargelegt und bewiesen werden, die den Anschein begründenden Lebenssachverhalt zu widerlegen vermögen. Hierbei braucht nur die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Geschehensablaufs bewiesen zu werden. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen allerdings des Vollbeweises (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 31. Auflage, vor § 284 Rn. 29). Einen derartigen Nachweis hat der Kläger vorliegend nicht erbracht.
Insbesondere hat der Kläger als Träger der diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast nicht bewiesen, dass die Beklagte zu 1 ca. 50 km/h schnell war als es zum Unfall kam.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet hat und für die Beklagte zu 1 völlig unvermittelt auf die Fahrbahn getreten ist. Der Kläger selbst hat angegeben, dass er das Auto der Beklagten zu 1 gesehen hat, als er auf die Straße getreten ist, er aber gedacht habe die Beklagte zu 1 sehe ihn, ein sicheres Überqueren der Straße war daher bereits nach dem Vortrag des Klägers nicht möglich.
Die Angabe des Klägers, die Beklagte zu 1 sei ca. 50 km/h schnell gewesen, war hingegen nicht belastbar. Der erfahrene und zuverlässige Sachverständige M hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 16.01.2018 glaubhaft dargelegt, dass eine höhere Geschwindigkeit als 30 km/h des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 nicht darstellbar ist. Die Behauptung des Klägers, die Beklagte zu 1 sei mit ihrem Fahrzeug erheblich schneller gefahren, lies sich über die zu bemessenden Aufwurf- und Abwurfweiten, den Abwurf des Körpers über die rechte Fahrzeugseite und die Endlage des Pkw nicht bestätigen. Bei einer Aufprallgeschwindigkeit um 50 km/h wäre es aus Sicht des Sachverständigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem energischen Aufschlag des Kopfes gegen die Frontscheibe des Pkw gekommen, was deren Bruch bedingt hätte. Derartiges liegt jedoch nicht vor. Auch über weitere Parameter wir Abwurfweite und über die nach kollisionären Raumbewegung des Pkw haben sich keine belastbaren Anbindungen ergeben, welche eine höhere Näherungsgeschwindigkeit des Fahrzeuges der Beklagten zu 1 als 30 km/h nachweisen ließen. Der Sachverständige hat nachvollziehbar erläutert, dass der Kläger den Unfall durch ein Zurückstellen des Überquerungsvorganges hätte vermeiden können. Zum Entschlusszeitpunkt des Klägers, auf die Fahrbahn zu treten, befand sich der Pkw der Beklagten zu 1 etwa in 4-5 Metern Entfernung. Der Unfall war zeitlich und räumlich, bei einer zunächst am Gehwegrand stehenden Person und auf die Fahrbahn gehenden Person, nach den Erläuterungen des Sachverständigen M nicht vermeidbar. Die Beklagte hätte daher den Unfall nur vermeiden können, wenn sie mit der Einleitung einer Vollbremsung bereits reagiert hätte, als der Kläger noch auf dem Bürgersteig stand.
Die Angaben des Sachverständigen M werden durch die Aussage des Zeugen D bestätigt. Der Zeuge D hat glaubhaft geschildert dass die Beklagte zu 1 mit ca. 30 km/h die X-Straße entlang fuhr als es zum Zusammenstoß kam. Er schilderte dass der Kläger aus dem Nichts ohne zu schauen auf die Straße getreten ist und das unmittelbar vor das Beklagtenfahrzeug. Der Zeuge stand dabei ca. 10 Meter vom Unfallgeschehen entfernt und konnte die Situation beobachten.
Die Beklagte zu 1 hat ebenfalls angegeben maximal mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h gefahren zu sein. Umstände, welche geeignet wären, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Beklagten zu 1 bzw. an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage aufkommen zu lassen, waren nicht ersichtlich. Insbesondere ist festzustellen, dass die Beklagte zu 1 zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt hat, dass sie den Kläger - was insbesondere aus der Perspektive eines juristischen Laien grundsätzlich durchaus ein belastendes Moment sein könnte - vor dem Eintritt des Unfallereignisses im Bereich des Bürgersteigs wahrgenommen hatte.
Das streitgegenständliche Unfallereignis stellt nach alledem für die Beklagten als ein unabwendbares Ereignis im Sinne der Regelung der §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 3 StVG dar.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs.1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.