OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2020 - 2 RBs 30/20
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung derzulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um48 km/h zu einer Geldbuße von 280 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, die sich auf Verfahrensrügen und die Sachrüge stützt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet im Sinne des § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.
1.
Soweit der Betroffene mit der insoweit wohl noch in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge zunächst vorbringt, das Gericht habe entgegen seines zu Protokoll genommenen Widerspruchs die Messergebnisse des hier gegenständlichen Traffistar S 350 Messgeräts verwertet, verletzt ihn dieses Vorgehen nicht in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren. Namentlich ist sein Anspruch auf effektive Verteidigung nicht in durchgreifender Weise berührt.
Mit der soweit insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung der Obergerichte (vgl. KG Berlin BeckRS 2019, 26469; OLG Oldenburg BeckRS 2019, 20646; OLG Köln BeckRS 2019, 23786; OLG Stuttgart DAR 2019, 697, OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 28177; BayObLG VRR 2020, 17; OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 29) und entgegen der nicht bindenden Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes in seinem Urteil vom 5. Juli 2019 (NJW 2019, 2456) geht der Senat davon aus, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse von Geschwindigkeitsmessungen mit standardisierten Messverfahren nicht von ihrer nachträglichen Überprüfbarkeit anhand von Rohmessdaten durch den von der Messung Betroffenen abhängt. Zwar umfasst das aus Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art.1 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK abgeleitete Grundrecht auf ein faires Verfahren - so zu Recht der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes (a.a.O.) - auch das Recht auf eine wirksame Verteidigung (vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. b) und c) MRK; zu den einzelnen konkreten Anforderungen an eine wirksamen Verteidigung bspw. Karlsruher Kommentar-Lohse/Jakobs, 8. Aufl. 2019, StPO, Art. 6 MRK Rn. 90 ff.), wozu gehört, sich - gegebenenfalls konfrontativ - mit den von Strafverfolgungs- und Bußgeldbehörden aufgeführten Beweismitteln auseinandersetzen, weshalb der Betroffene in einem Straf- und Bußgeldverfahren auch die Möglichkeit haben muss, die tatsächlichen Grundlagen des Tatvorwurfs auf ihr Vorliegen und ihre Validität prüfen zu dürfen. Dieses Recht wird jedoch durch die hier gegenständliche Messmethode nicht in relevanter Weise beeinträchtigt, insbesondere folgt hieraus nicht das Erfordernis des Vorhaltens von Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsmessungen.
Bei den Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Traffistar S 350 handelt es sich um ein solches standardisiertes Messverfahren (vgl. BayObLG, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; OLG Rostock, Beschluss vom 22.1.2019 - 21 Ss OWi 251/18 (B) -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 9.3.2017 - 5 RBs 29/17 -, juris). Dies und die "bundesrechtlich vorgegeben(en ...) Grundsätze der judikativen Verarbeitung der Ergebnisse standardisierter Messverfahren auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (...)" werden durch den Verfassungsgerichtshof des Saarlandes (a.a.O.) auch nicht in Frage gestellt.
Ein standardisiertes Messverfahren ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGHSt 43, 277). Abweichend von den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (a.a.O.) hat der Bundesgerichtshof den Begriff des standardisierten Messverfahrens sowie die herabgesetzten Anforderungen an den Umfang der zu treffenden Feststellungen und die tatrichterlichen Urteilsgründe bei Verwendung eines solchen in zwei Entscheidungen konturiert (BGH, a.a.O.; BGHSt 39, 291), denen jeweils Fälle zugrunde lagen, in denen Rohmessdaten nach dem konkreten Messvorgang gerade nicht zur Verfügung standen.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie auch die daran anknüpfende der Oberlandesgerichte zum standardisierten Messverfahren setzt eine datenbasierte jederzeitige nachträgliche Überprüfbarkeit der gewonnenen Messergebnisse als Bedingung für eine Beweisverwertung damit nicht voraus. Sie verlangt lediglich, dass sich der Tatrichter von dem ordnungsgemäßen Einsatz eines solchen Messgerätes überzeugt; eine Überprüfung der Zuverlässigkeit des Messergebnisses ist nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen.
Das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Verlässlichkeit amtlicher Messungen mit standardisierten Messverfahren findet seine Rechtfertigung im gesetzlichen Messwesen, das die Messrichtigkeit und -beständigkeit gerade dann gewährleisten soll, wenn eine Messung nicht wiederholbar ist (vgl. Märtens/Wynands NZV 2019, 338). Die zu Geschwindigkeitsmessungen eingesetzten Messgerätetypen werden vor ihrem Inverkehrbringen auf verschiedenen qualitätssichernden Kontrollebenen, insbesondere aber durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) eingehend u.a. darauf überprüft, ob sie stets zuverlässige, die gesetzlichen Fehlergrenzen einhaltende Messergebnisse liefern. Dem zugrunde liegt letztlich das Konzept eines antizipierten Sachverständigengutachtens (OLG Köln, a.a.O.). Etwaigen Ungewissheiten und Unsicherheiten wird dabei zudem durch - äußerst großzügig bemessene - Toleranzabzüge Rechnung getragen.
Das Messgerät Traffistar S 350 in der hier gegenständlichen Bauweise hat eine solche Überprüfung durch die PTB ohne Beanstandung durchlaufen.
Zur Frage der Notwendigkeit von Zusatzdaten hat die PTB in diesem Zusammenhang bereits am 12. September 2016 wie folgt Stellung genommen:
"Weder in den zur Konformitätsbewertung heranzuziehenden allgemeinen Rechtsvorschriften, noch in den gerätespezifischen Bauanforderungen und Prüfvorschriften bestehen Forderungen nach ‚messtechnischen Zusatzdaten‘ oder lassen sich Hinweise auf solche ableiten. Somit ist es aus Sicht der Konformitätsbewertungsstelle auch nicht erforderlich, messtechnische Zusatzdaten, die im eichrechtlichen Sinne ‚Hilfsgrößen‘ darstellen, in den jeweiligen Falldatensätzen zu integrieren. Im Rahmen einer jährlichen Prüfung werden bei diesen Geräten sowohl die korrekte Funktionsweise als auch die Übereinstimmung mit dem bei der PTB geprüften und hinterlegten Muster, einschließlich der implementierten Gerätesoftware, von einer unabhängigen Stelle verifiziert. Zusätzlich verfügt das betreffende Messgerät gem. PTB-Anforderungen über eine Vielzahl von geräteinternen Kontrollmechanismen, die im Fehlerfall zur Abschaltung bzw. Unterdrückung des Messbetriebs führen. Darüber hinaus wurde die Robustheit des Messgerätes gegenüber unkorrekter Aufstellung im Rahmen der Prüfungen zum Konformitätsbewertungsverfahren umfassend geprüft. Aus zulassungstechnischer Sicht ergibt sich somit keine Notwendigkeit der Integration von Zusatzdaten. Die in der Falldatei Ihres Gerätes auf freiwilliger Basis integrierten Zusatzdaten stehen dabei nicht im Widerspruch zu dieser Festlegung."
Das mehrstufige Kontroll- und Überwachungssystem vorverlagert die Überprüfung - und damit die Gewährleistung eines richtigen Messergebnisses - von der Einzelfallmessung auf das Messgerät selbst: Hält das Messgerät bei der Überprüfung unter Berücksichtigung der Verwendungssituationen alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, kann davon ausgegangen werden, dass es dies auch beim Einsatz unter gleichen Bedingungen tut. Der aus der ursprünglichen technischen Prüfung und der Überwachung des Messgeräts für die Einzelfallmessung gezogene Schluss beruht damit auf einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O. m.w.N.).
Bei dem Messgerät Traffistar S 350 besteht mithin die Möglichkeit einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle. Diese beruht jedoch auf dem vom Gesetzgeber hierfür vorgesehenen Konzept einer Befundprüfung - unter ausdrücklicher Berücksichtigung der konkreten Verwendungswendungssituation im Einzelfall - und nicht auf der Verwendung von Zusatzdaten.
Eine Überprüfung des Messergebnisses im Einzelfall auf der Grundlage zu speichernder Rohmessdaten muss daher einem Betroffenen (mit sachverständiger Hilfe) nicht generell möglich sein und vom Tatgericht nicht vorgenommen werden. Insoweit ist auch der Charakter der Bußgeldsachen als gegenüber Strafverfahren weniger bedeutsam zu erkennen, der seinen Ausdruck unter anderem in den herabgesetzten Amtsermittlungspflichten (§ 77 OWiG) findet und der durch den Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes in den dort gebildeten Analogien zu strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen nicht hinreichend berücksichtigt wird. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte für eine strukturelle, von der PTB-Prüfung nicht erfasste Fehlerquelle des Messgerätes vorliegen oder für eine nicht bestimmungsgemäße Nutzung des Geräts durch das Messpersonal, muss das Gericht die Zuverlässigkeit und Verwertbarkeit des Messergebnisses anhand der Grundlagen und des Ablaufs der Messung überprüfen (OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Oldenburg, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.).
Der Betroffene wird mithin - entgegen der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (a.a.O.) - auch nicht rechtlos gestellt und zum "unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit" degradiert. So kann er über die Einsichtnahme in die Akten hinaus auf seinen Antrag hin eine Befundprüfung nach § 39 MessEG veranlassen und sich so Klarheit darüber verschaffen, ob das jeweilige Messgerät den Anforderungen der Eichung und der Konformitätsprüfung genügt. Mag diese auch - was der Verfassungsgerichtshof des Saarlands (a.a.O.) zu Recht bemerkt - nicht unmittelbar den Nachweis der Ordnungsgemäßheit des Geräts zur Tatzeit erbringen, so kann durchaus der Schluss gezogen werden, dass bei dem Messgerät auch in der Vergangenheit keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind (OLG Köln, a.a.O.), jedenfalls soweit keine konkreten, dem entgegenstehende Umstände vorgebracht werden. Dem Betroffenen stehen darüber hinaus alle prozessualen Rechte zur Seite. So kann er neben der bereits erwähnten Akteneinsicht, konkrete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Messung jederzeit vortragen, in der Hauptverhandlung sein Fragerecht ausüben, Beweisanregungen oder Beweisanträge stellen (OLG Köln, a.a.O.; OLG Bamberg, NStZ 2018, 724).
Im hier zu beurteilenden Einzelfall hat der Betroffene jedoch über die Anbringung des Widerspruchs gegen die Verwertung des Messergebnisses sowie der allgemeinen Beantragung der Einholung eines Sachverständigengutachtens - hierzu im Folgenden - hinaus keine Zweifel am Messvorgang oder Hinweise auf eine Fehlerquelle am Gerät bzw. in der Bedienung desselben vorgebracht. Auch ergeben sich keinerlei solchen Anhaltspunkte aus sonstigen Umständen.
Das verfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art.1 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verankerte Gebot des fairen Verfahrens ist schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der "Parität des Wissens" verletzt (so auch OLG Karlsruhe, a.a.O.). Ein solcher Verstoß kommt nämlich allenfalls dann in Betracht, wenn in einem verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nicht bei den Akten befindliche, jedoch bei der Verfolgungsbehörde vorhandene Informationen zu der erfolgten Messung mit einem standardisierten Messverfahren - z.B. gespeicherte Rohmessdaten - dem Betroffenen bzw. Verteidiger nicht zur Verfügung gestellt werden, auch wenn das Gericht diese Informationen für unerheblich hält (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2019, 620 m.w.N.). Ein über den gleichmäßigen Zugang zu bereits existenten Beweismitteln hinausgehendes, überdies mit einem Beweisverwertungsverbot verknüpftes Recht des Betroffenen auf Schaffung neuer, bislang auch der Verfolgungsbehörde als Verfahrensgegner nicht zur Verfügung stehender Beweismittel lässt sich jedoch aus dem Prinzip der Waffengleichheit strukturell nicht herleiten (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.).
2.
Soweit der Rechtsbeschwerde weiter die Verfahrensrüge zu entnehmen ist, dass das Gericht dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens fehlerhaft nicht nachgekommen sei, genügt eine solche Rüge entsprechend der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft, auf die insoweit verwiesen wird, schon nicht den formellen Darlegungsanforderungen an eine Rüge der Verletzung des formellen Rechts, da der vollständige Inhalt des Beweisantrags (Beweistatsache und Beweismittel), der Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses und die Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Ablehnung ergibt, nicht vorgetragen werden.
3.
Entsprechendes gilt für die als Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) aufzufassende Beanstandung, das Gericht habe keinen Schulungsnachweis des Auswerters der Bußgeldstelle beigezogen, da auch insoweit nicht näher ausgeführt wird, aufgrund welcher Tatsachen sich das Gericht zur Aufklärung in diesem Punkt gedrängt hätte sehen müssen und zu welchem voraussichtlichen Ergebnis die unterlassene Sachaufklärung geführt hätte.
4.
Schließlich bleibt auch die Sachrüge ohne Erfolg.
Die ohnehin nur einer eingeschränkten Kontrolle unterfallende Beweiswürdigung des Gerichts ist nicht zu beanstanden, was namentlich für die Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit gilt. Insoweit ist das Gericht zutreffenderweise - vgl. die Ausführungen sub 1. - vom Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen und hat sich ausweislich der Urteilsgründe davon überzeugt, dass das Messgerät zur Tatzeit geeicht und die Messung im Rahmen des standardisierten Verfahrens ordnungsgemäß war.
Keinen Bedenken begegnen zudem die Erwägungen zur Bußgeldzumessung, im Rahmen derer die Voreintragungen des Betroffenen im Verkehrszentralregister Berücksichtigung gefunden haben, sowie zur Verhängung des Regelfahrverbots gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.