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OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2019 - 16 E 457/18

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. Mai 2018 geändert. Dem Kläger wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T. aus L. beigeordnet. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Dem Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, ist für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Es kann hier dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinzuwirken hat, dass ein Verpflichtungsantrag gestellt wird, bzw. das Klagebegehren gemäß § 88 VwGO ohne Rücksicht auf die Fassung des Klageantrags als Verpflichtungsbegehren zu verstehen hat,

vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1966 - VIII C 30.66 -, BVerwGE 25, 357 = juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 9. November 2016 - 16 A 1286/13 -,

oder ob im vorliegenden Fall, in dem der Beklagte die Ersterteilung der Fahrerlaubnis bereits wegen von ihm angenommener fehlender Eignung des Klägers ablehnt, eine - nach dem Wortlaut der Klageschrift erhobene - isolierte Anfechtungsklage in Betracht kommt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1971 - VI C 35.68 -, BVerwGE 38, 99 = juris, Rn. 9 ff.

Jedenfalls ist der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 22. Februar 2018 aller Voraussicht nach rechtswidrig.

Die Annahme des Beklagten, er habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen, ist voraussichtlich nicht zutreffend. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sowie hinreichend bestimmt ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 -, NJW 2005, 3081 = juris, Rn. 19; OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2013 - 16 B 1146/13 -, Blutalkohol 51 (2014), 35 = juris, Rn. 3 f.

Es spricht vieles dafür, dass die Gutachtenanordnung des Beklagten vom 27. November 2017 diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Zwar dürften mit Blick auf den Polizeibericht vom 23. November 2017 hinreichende Tatsachen vorliegen, die gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 FeV die Annahme begründen, dass der Kläger regelmäßig Cannabis konsumiert; Bedenken bestehen aber gegen die materielle Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung.

Zur Klärung der hier in Rede stehenden Fragestellung, ob der Kläger tatsächlich regelmäßig Cannabis konsumiert und folglich gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, dürfte die Aufforderung, beim Institut für Rechtsmedizin der Universität zu L. eine Blut- und Urinprobe auf Cannabiskonsum untersuchen zu lassen, unverhältnismäßig sein, weil der Beklagte neben einer Blutabnahme auch die Abgabe einer Urinprobe fordert. Es spricht vieles dafür, dass die Untersuchung einer Urinprobe des Klägers zur Klärung der hier maßgeblichen Fragestellung ungeeignet ist. Denn es ist nicht ersichtlich, dass etwaige im Urin zu ermittelnde Konzentrationen von THC oder THC-COOH nach dem Stand der Wissenschaft Auskunft darüber geben könnten, ob von einem regelmäßigen Cannabiskonsum i. S. der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV auszugehen ist. Dem Senat sind keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse bekannt, aus denen sich für das Untersuchungsmaterial Urin Grenzwerte für die Annahme eines regelmäßigen Cannabiskonsums ableiten ließen.

Vgl. hingegen zur Aussagekraft von THC-COOH im Blutserum etwa OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 16 B 50/15 -, juris, Rn. 8 f.; Bay. VGH, Beschluss vom 27. Januar 2017 - 11 CS 16.2403 -, juris, Rn. 15 m. w. N.

Vielmehr dürfte eine Harnuntersuchung zur Feststellung des Konsumverhaltens wegen zu starker Schwankungen der Ergebnisse ausscheiden,

so Daldup/Käferstein/Köhler/Maier/Mußhoff, Entscheidung zwischen einmaligem/gelegentlichem und regelmäßigem Cannabiskonsum, Blutalkohol 37 (2000), 39 (40).

Dementsprechend misst hierfür auch der vom Beklagten zitierte Erlass des Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2002 - VI B 2-21-03/2.1 - lediglich den Ergebnissen einer Blutuntersuchung einen entsprechenden Aussagegehalt bei.

Zwar ist eine begleitende Harnuntersuchung zur Feststellung des Konsums anderer Drogen geeignet,

vgl. Daldup/Käferstein/Köhler/Maier/Mußhoff ebda.,

eine solche Fragestellung wurde jedoch von dem Beklagten zu Recht nicht verfolgt, da keine Tatsachen ersichtlich sind, die gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 FeV die Annahme begründen, dass der Kläger andere Betäubungsmittel als Cannabis einnimmt.

Darüber hinaus dürfte die Aufforderung, beim Institut für Rechtsmedizin der Universität zu L. eine Blut- und Urinprobe auf Cannabiskonsum untersuchen zu lassen, auch deshalb rechtswidrig sein, weil der Beklagte dem Kläger damit eine konkrete Stelle für die Untersuchung vorgibt. Demgegenüber sieht § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV lediglich die Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen vor. Aus § 11 Abs. 6 Satz 3 FeV, nach dem der Betroffene die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten hat, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat, ergibt sich zudem, dass der Betroffene ein Wahlrecht hat. Dementsprechend ermächtigt § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV die Behörde lediglich zu einer abstrakten Eingrenzung auf eine der aufgezählten Arztgruppen, aber nicht zu einer Festlegung auf einen bestimmten Arzt oder eine bestimmte medizinische Einrichtung. Eine derartige Festlegung erscheint nur in Fällen zulässig, in denen im Hinblick auf die konkrete Fragestellung (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) aus zwingenden fachlichen Gründen - etwa in Ansehung einer sehr seltenen Erkrankung - lediglich eine einzige Stelle zur Untersuchung in der Lage ist.

Vgl. Hamb. OVG, Beschluss vom 30. März 2000 - 3 Bs 62/00 -, NZV 2000, 348 = juris, Rn. 4; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 46; Siegmund, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV Rn. 103; a. A. OVG Saarl., Beschluss vom 3. Mai 2007 - 1 B 23/07 -, Blutalkohol 45 (2008), 148 = juris, Rn. 11 ff.

Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls ist hier jedoch nichts ersichtlich.

Auch soweit die Klage gegen die in dem angegriffenen Bescheid vom 22. Februar 2018 enthaltene Kostenfestsetzung gerichtet ist, hat sie in vollem Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sich die Ablehnungsentscheidung voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

Abgesehen hiervon leidet die Kostenfestsetzung zusätzlich an einem Rechtsfehler, soweit damit für die Versagung der Fahrerlaubnis ein über die Mindestgebühr von 33,20 Euro hinausgehender Betrag festgesetzt wurde. Denn die Beklagte hat das ihr in der Tarifstelle 206 der Anlage zur GebOSt eingeräumte Ermessen zur Ausfüllung des dort festgelegten Gebührenrahmens von 33,20 Euro bis 256,00 Euro nicht erkennbar ausgeübt. Auch die Nachholung eines solchen Ermessensausfalls erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dürfte nicht mehr möglich sein (vgl. § 114 Satz 1 und Satz 2 VwGO). Die Ausübung des Rahmenermessens ist immer dann notwendig, wenn - wie hier - im Fall einer Rahmengebühr nicht lediglich die Mindestgebühr festgesetzt wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2017 - 9 B 384/17 -, juris, Rn. 7 ff.

Die Kostenfestsetzung könnte aus diesem Grund, wenn sie nicht wegen der Rechtswidrigkeit der Versagungsentscheidung in vollem Umfang rechtswidrig wäre, ohnehin nur in Höhe der in der Tarifstelle festgelegten Mindestgebühr zuzüglich Mitteilungsgebühr und Zustellkosten rechtmäßig sein.

Dem Kläger war gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. mit § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen, da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger erforderlich ist.

Das Beschwerdeverfahren ist nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz gebührenfrei. Die Kostenentscheidung im Übrigen folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).