Verkehrsrecht | Unfall | Kanzlei | Anwalt | Rechtsanwalt | Dieselskandal | Abgasskandal | Autokreditwiderruf | Frankfur
Die Verkehrsrechtskanzlei.
Urteile Verkehrsrecht_Anwalt Frankfurt Verkehrsunfall_ Anwaltskanzlei für Verkehr Frankfurt_ Anwalt Verkehrsrecht_ Anwalt Dieselskandal_ Anwalt Abgasskanda_ Anwalt Autokredit widerrufen.jpg

Urteile zum Verkehrsrecht

Rechtssprechung Datenbank

 

Suchen in unserer Urteilsdatenbank

In unserer Urteilsdatenbank finden Sie Rechtsprechung zum Thema Verkehrsrecht. Hier können Sie bestimmte Suchbegriffe eingeben und Ihnen werden die einschlägigen Urteile angezeigt.

 

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2019 - 16 B 638/19

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 30. April 2019 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage 10 K 818/19 gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis in der Ordnungsverfügung vom 13. März 2019 wiederhergestellt sowie hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet. Zudem wird festgestellt, dass die Klage gegen die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins aufschiebende Wirkung hat. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, unverzüglich dem Antragsteller vorläufig den Führerschein zurückzugeben oder ihm, falls eine Rückgabe nicht möglich ist, einen Ersatzführerschein auszuhändigen. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen, auf die sich die gerichtliche Prüfung beschränkt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich, dass dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu entsprechen ist.

Bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind die dem Rechtsbehelf bei summarischer Prüfung beizumessenden Erfolgsaussichten von erheblicher Bedeutung. Ergibt die Prüfung, dass die Klage offensichtlich Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Im entgegengesetzten Fall der offensichtlich fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs bleibt auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolglos, sofern ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse besteht. Lässt sich weder in die eine noch in die andere Richtung ein offensichtliches Ergebnis absehen, ist eine von den Erfolgsaussichten der Klage gelöste Interessenabwägung vorzunehmen.

Vorliegend ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis Erfolg haben wird, weil die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13. März 2019 rechtswidrig ist, da der Antragsgegner nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Sachverhaltsaufklärung die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen annehmen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen durfte.

Nach der - nach Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung ergangenen - neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen haben die Fahrerlaubnisbehörden vielmehr regelmäßig gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zur Klärung der durch diese Fahrt begründeten Zweifel an der Fahreignung zu entscheiden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 13.17 -, juris, Rn. 24 ff.

Der Antragsteller ist als gelegentlicher Cannabiskonsument - soweit ersichtlich - erstmals damit aufgefallen, ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt zu haben.

Eine Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens ist nicht wegen der Höhe der in der Blutprobe des Antragstellers festgestellten Werte (1,6 ng/ml THC, 10 ng/ml THC-COOH) vor einer Entziehung der Fahrerlaubnis ausnahmsweise entbehrlich. Auch sonst lässt sich nicht erkennen, aus welchem Grund der Fall des Antragstellers anders liegen könnte als der vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Regelfall. Insbesondere führt - worauf bereits der vormalige Berichterstatter durch Verfügung vom 5. September 2019 hingewiesen hatte - die Tatsache, dass der Antragsteller am 2. November 2018 gegenüber der Kreispolizeibehörde und gegenüber der die Blutprobe entnehmenden Ärztin erklärte, er habe innerhalb der vorherigen 24 Stunden nicht nur 0,2 bis 0,3 Gramm Marihuana, sondern auch Wein und Jägermeister konsumiert, nicht dazu, dass eine Anordnung der Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens nach § 11 Abs. 7 FeV entbehrlich gewesen wäre.

Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seinem - vom Antragsgegner in Bezug genommenen - Urteil vom 14. November 2013 darauf hingewiesen, dass es zwar nicht geboten sei, Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einschränkend auszulegen, soweit dort bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Fahreignung verneint wird, wenn ein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol vorliegt. Voraussetzung sei allerdings bereits nach dem Normzweck, dass ein Mischkonsum vorliege, der in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht zu einer kombinierten Rauschwirkung führen könne.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32.12 -, BVerwGE 148, 230 = juris, Rn. 21 bis 27.

Angesichts der hier fehlenden näheren Eingrenzung nicht nur des Konsumzeitpunkts bzw. -zeitraums, sondern auch der Alkoholmenge, ist bereits das (einmalige) Vorliegen einer fahreignungsrelevanten kombinierten Rauschwirkung nicht ersichtlich.

Im Übrigen darf die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, in der Regel auch dann nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen, wenn bei diesem auch eine kombinierte Rauschwirkung mit Alkohol vorgelegen hat bzw. wahrscheinlich gewesen ist. Auch in einem solchen Fall haben die Fahrerlaubnisbehörden gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zur Klärung der durch diese Fahrt begründeten Zweifel an der Fahreignung zu entscheiden.

Den Ausführungen des Verordnungsgebers bei der Neufassung der Fahrerlaubnis-Verordnung, die mit Wirkung zum 1. Januar 1999 zur Umsetzung der Zweiten EU-Führerscheinrichtlinie erfolgt ist (Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18. August 1998, BGBl. I S. 2214) ist zu entnehmen, dass dieser nicht nur das Fehlen des Trennens zwischen dem gelegentlichen Cannabiskonsum und dem Fahren als eine Eignungszweifel begründende Tatsache im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV angesehen hat, sondern jede der in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aufgeführten Zusatztatsachen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 13.17 -, juris, Rn. 28 unter Verweis auf BR-Drs. 443/98, S. 262 f.

Auch das kumulative Vorliegen eines fehlenden Trennens mit einer weiteren Zusatztatsache im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV führt in der Regel nicht aus sich heraus zur Anwendbarkeit von § 11 Abs. 7 FeV. Schon nach dem Wortlaut von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Cannabiseinnahme vorliegt und weitere "Tatsachen" Zweifel an der Eignung begründen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht mit Blick auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in Rn. 31 des zuvor genannten Urteils vom 11. April 2019, wonach besondere Umstände des Einzelfalls, wie etwa ein mit Blick auf die Verkehrssicherheit besonders verantwortungsloser Umgang mit dem Cannabiskonsum, die Wiederholung eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot nahelegen könnten und dass in solchen Fällen einer hinreichend abgesicherten negativen Prognose § 11 Abs. 7 FeV zur Anwendung kommen könnte. Da das Bundesverwaltungsgericht auch in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich betont hat, dass für die Prognose, ob ein Fahrerlaubnisinhaber in Zukunft das Trennungsgebot beachten oder missachten wird, regelmäßig (Hervorhebung durch den Senat) besonderer psychologischer Sachverstand und eine entsprechende fachliche Beurteilung erforderlich ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Hinzutreten einer weiteren Zusatztatsache zwangsläufig zur Anwendung des § 11 Abs. 7 FeV führt. Dies wäre wohl auch nicht mit der höchstrichterlichen Annahme, dass nur besondere Umstände des Einzelfalls die Anwendung dieser Vorschrift nahelegen können, in Einklang zu bringen.

Hat die Klage des Antragstellers hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis höchstwahrscheinlich Erfolg, gilt dies ebenso hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins sowie der daran anknüpfenden Zwangsgeldandrohung.

Hinsichtlich der Aufforderung zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins ist

- was vom Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage umfasst ist, vgl. auch § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO - im Übrigen auch festzustellen, dass die Klage schon deshalb aufschiebende Wirkung hat, weil sich der Ordnungsverfügung nicht entnehmen lässt, dass diesbezüglich die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juni 2018 - 16 B 1402/17 -, juris, Rn. 17 f. m. w. N.

Der Antragsgegner hat in der Ordnungsverfügung zunächst verfügt, dass die Fahrerlaubnis des Antragstellers entzogen wird (Ziff. 1.), sodann, dass der Führerschein dem Straßenverkehrssamt zuzuleiten ist (Ziff. 2.) und hat die sofortige Vollziehung nur "von Ziffer 1" angeordnet. Abweichendes lässt sich auch der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht entnehmen. Die Anordnung der vorläufigen Rückgabe des Führerscheins bzw. Aushändigung eines Ersatzführerscheins beruht auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Lukas Jozefaciuk