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VG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2017 - 14 K 2571/16

1. Bei der Beurteilung der besonderen örtlichen Verhältnisse ist entscheidend, ob die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrende zu einer Gefährdungssituation i.S.v. § 45 Abs. 9 StVO führen würde.

2. Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen sind aufgrund ihrer Qualität als technisches Regelwerk weder geeignet, einen Anspruch zu begründen noch die Behörde zu einem bestimmten Tun zu verpflichten.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist Einwohner der Stadt X. und nutzt dort zur Fortbewegung sein Fahrrad, u.a. den hier streitgegenständlichen Streckenabschnitt der C.-----allee (im Folgenden: B7). Er wendet sich mit seiner Klage gegen zwei von der Beklagten angebrachte Verbote für den Radverkehr (Verkehrszeichen 254), von denen eines an der Einmündung L.-----straße /B 7, das andere an der Zufahrt V. Straße/B7 aufgestellt ist.

Seit Mitte Juli 2014 ist die B7 im Bereich zwischen N.-----straße und L.-----straße - direkt oberhalb des streitgegenständlichen Bereichs - aufgrund einer Baustelle gesperrt. Nach unbestrittenen Angaben der Beklagten wies die B7 vor der baustellenbedingten Streckenabschnittssperrung ein Verkehrsaufkommen von ca. 25.000 bis 30.000 Kraftfahrzeugen pro Tag auf. Seit der Sperrung kann davon ausgegangen werden, dass weiterhin durchschnittlich 10.500 Kraftfahrzeuge von der L.-----straße zweispurig auf die B7 einfahren. Derzeit fahren zu Stoßzeiten bis zu maximal 14 Linienbusse pro Stunde über den Bussonderstreifen am rechten Fahrbahnrand. Der Bussonderstreifen hat eine Breite von 3,00 m bis 3,50 m und ist nicht für Radfahrer freigegeben. Die Linienbusgesellschaft X1. N1. lehnte die Freigabe ab, da diese zu Verzögerungen führen würde.

Im Jahr 2014 richtete die Beklagte im Bereich vor der L.-----straße eine benutzungspflichtige Radverkehrsanlage ein, über die Radfahrende auf die parallel zur B7 verlaufende B. geleitet werden. Die Beklagte ordnete am 19. Januar 2015 die Aufstellung des Verkehrszeichen 254 auf der Höhe der V. Straße/B7 an, das am 11. März 2015 aufgestellt wurde; das Verkehrszeichen 254 an der L.-----straße /B7 befindet sich seit dem 30. Oktober 2015 aufgrund Anordnung vom 3. August 2015 dort. Durch die Verkehrszeichen wird der Radverkehr im genannten Bereich von der B7 ab- und über die unmittelbar parallel verlaufende B. umgeleitet. Zwischen der B 7 und der B. befindet sich ein schmaler Grünstreifen und keine Bebauung. Auf der B. ist, wie auch auf der B7, eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zulässig. Die B. ist ca. 6 m breit und weniger stark befahren als die B7. Ab der Einmündung T.------straße /B7 ist die Benutzung der B7 von der B. aus für Radfahrer nicht mehr beschränkt.

Mit elektronischem Schreiben vom 13. September 2014 forderte der Kläger die Beklagte auf, den Bussonderstreifen auf der B7 freizugeben und legte nach Ablehnung seiner Bitte am 14. Oktober 2015 Fachaufsichtsbeschwerde bei der Bezirksregierung E. ein. Die Bezirksregierung E. teilte mit Schreiben vom 2. August 2016 mit, es liege im Ermessen der Stadt, den Bussonderstreifen freizugeben oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten.

Mit elektronischem Schreiben vom 27. März 2015 forderte der Kläger die Beklagte auf, das Verkehrszeichen 254 an der Zufahrt V. Straße/B7 zu entfernen. Zur Begründung führte er aus, es verstoße gegen § 45 Abs. 9 Straßenverkehrsordnung (StVO). Die B7 sei an dieser Stelle nicht für den Radverkehr gesperrt, sodass kein Grund für das Durchfahrtsverbot bestehe. Die B. stelle keine zumutbare Alternativstrecke dar, da der Fahrbahnbelag schlecht sei und der Radfahrer dort mehrmals gezwungen sei, die Vorfahrt anderer Verkehrsteilnehmer zu beachten. Vorzuziehen sei die Freigabe des Bussonderstreifens auf der B7 für Radfahrende.

Mit elektronischem Schreiben vom 7. August 2015 erklärte die Beklagte, das beanstandete Verkehrszeichen sei rechtmäßig. Es sei nach glaubhaften Hinweisen der X2. Stadtwerke mehrfach zu Beinahe-Unfällen zwischen einbiegenden Radfahrenden und Linienbussen gekommen. Aufgrund der baustellenbedingten Teilsperrung der B7 gebe es auf dem streitgegenständlichen Teil der B7 ein hohes Linienbusaufkommen, was die Gefahr zusätzlich erhöhe. Zudem sei der Bussonderstreifen mit 3,00 bis 3,50 m zu klein, um ihn für den Radverkehr freizugeben, da erst ab einer Breite von 4,75m ein Überholen von Radfahrern innerhalb der Markierung des Bussonderstreifens möglich sei.

Der Kläger hat am 3. März 2016 Klage erhoben.

Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend im Wesentlichen vor, es fehle an der gemäß § 45 Abs. 9 StVO für Durchfahrtverbote als Verkehrsbeschränkungen erforderlichen besonderen örtlichen Gefahrenlage. Seit der Neufassung der StVO im Jahre 2009 sei die Stadt gemäß Nr. II 4 der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) zu VZ 245 dazu verpflichtet, die Bussonderspur für Radfahrende freizugeben. Dieser Streifen entspreche gemäß den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der optimalen Breite, um Radverkehr zuzulassen. Ohnehin sei ein Mischverkehr von Rad- und Kraftfahrern im streitgegenständlichen Streckenabschnitt möglich. An anderen Abschnitten der B7 in unmittelbarer Nähe sei die Nutzung durch Radfahrer erlaubt, obwohl die Verkehrslage nicht anders sei. Zudem seien - was die Beklagte bestätigte, bei bisherigen Beinahe-Unfällen zwischen Linienbussen und anderen Verkehrsteilnehmern im strittigen Streckenabschnitt keine Radfahrer beteiligt gewesen. Das Gebot der Leichtigkeit des Verkehrs erfordere, dass auch für Radfahrende die Teilnahme am Straßenverkehr einfach gestaltet werde.

Der Kläger beantragt,

die VZ 254 (Verbot für Radfahrer) an der B 7 in X. aufzuheben,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die Busspur für Radfahrende freizugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Zeichen 254 seien nötig, da bei Benutzung der B7 durch Radfahrer- aufgrund der nicht freigegebenen Bussonderspur - die Radfahrer zwischen Linienbussen und Individualverkehr fahren müssten. Dies berge erhebliche Gefahren für die Radfahrenden und sei durch VwV-StVO zu Zeichen 254 II Nr. 4 untersagt. Die Freigabe der Busspur würde wiederum die im Allgemeininteresse liegende Leichtigkeit des Verkehrs stark beeinträchtigen, gleiches gelte für eine Streichung des Bussonderstreifens. Eine Beeinträchtigung des Bussonderstreifens berge zudem die Gefahr, dass Fördermittel für den Ausbau der Busspur zurückgezahlt werden müssten. Im streitgegenständlichen Abschnitt habe es zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 1. August 2015 insgesamt 75 meldepflichtige Unfälle gegeben und es sei lediglich Zufall, dass daran bisher keine Radfahrer beteiligt gewesen seien. Mildere Mittel ständen nicht zur Verfügung, da keine Radverkehrsanlage an der B7 zur Verfügung stehe. Die B. stelle als direkte Parallelstraße eine zumutbare Alternative dar.

Die Beteiligten sind in der mündlichen Verhandlung angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Hauptantrag ist als Anfechtungsklage i.S.d. § 42 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, da die Verkehrszeichen, gegen die sich der Kläger wendet, Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen, § 35 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW), darstellen. Der Hilfsantrag ist als Verpflichtungsklage statthaft.

Verwaltungsakt-Charakter eines Verkehrszeichens: ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) seit Urteil vom 9. Juni 1967 - VII C 18.66 -, BVerwGE 27, 181 ff..

Der Kläger ist auch klagebefugt i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO. Zwar wird eine verkehrsbeschränkende Anordnung auf der Grundlage des § 45 Straßenverkehrsordnung (StVO) maßgebend zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit - Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs - vorgenommen, der durch eine Anordnung betroffene Verkehrsteilnehmer ist jedoch dann zumindest in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, wenn - wie vorliegend geltend gemacht - die Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung nicht gegeben sind oder wenn die behördliche Ermessensausübung insoweit fehlerhaft ist, als seine eigenen Interessen nicht ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener abgewogen worden sind, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen.

Vgl. zur Klagebefugnis ausführlich: BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 3 C 15/03 -, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 11. Juni 1997 - 4 L 131/96 -, juris.

Die Klage wurde rechtzeitig erhoben. Nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben, wenn - wie hier nach § 110 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (JustG NRW) i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO - die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht erforderlich ist. Die Allgemeinverfügungen (Zeichen 254) werden gemäß § 43 VwVfG gegenüber demjenigen, der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm bekannt gegeben werden. Die Bekanntgabe erfolgt durch Aufstellen des Verkehrsschildes, vgl. § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 4 StVO. Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon "mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfassen kann, äußern sie ihre Rechtswirkungen gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer. Die Anfechtungsfrist wird jedoch erst in Lauf gesetzt, wenn sich der betreffende Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 37/09 -, Rn. 16, juris, m.w.N..

Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, die angegriffenen Radverkehrsverbote am 26. März 2015, bzw. im August 2015 erstmals wahrgenommen zu haben. Dieser Vortrag deckt sich mit den von der Beklagten genannten Aufstellzeitpunkten. Die am 3. März 2016 erhobene Klage wahrt mithin die - mangels Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 VwGO maßgebliche - Jahresfrist.

Die somit zulässige Klage ist allerdings unbegründet.

Die Anordnung der Verkehrszeichen 254 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der Verkehrszeichen und auf Freigabe der Busspur für Radfahrer.

Der rechtliche Maßstab für die Beurteilung der Radverkehrs-Verbote ergibt sich aus § 45 Abs. 1 und Abs. 9 StVO. Nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Gemäß § 45 Abs. 9 S. 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Nach S. 2 dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter - also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - erheblich übersteigt.

Als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung modifiziert § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO die Regelung des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO und konkretisiert und verdrängt in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 S. 1 StVO.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 32/09 -, Rn. 19 f., juris.

Das Verkehrsverbot für Radfahrer nach Zeichen 254 ist eine solche Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, denn es untersagt die Verkehrsteilnahme für Radfahrer bzw. Fahrräder (vgl. § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. lfd. Nr. 26 und 31 der Anlage 2 zur StVO).

Vgl. Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2011 - 5 S 2285/09 -, Rn. 38 f., juris.

Eine sich aus den örtlichen Begebenheiten ergebende, das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung von Leben und Gesundheit der Radfahrer erheblich übersteigende Gefahrenlage i.S.d. § 45 Abs. 9 S. 2 StVO liegt hier vor.

Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 32/09 - Rn. 21, juris.

Entscheidend ist, ob die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrende zu einer Gefährdungssituation im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO führen würde.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. April 2012 - 3 B 62/11 - juris.

Dies ist hier zu bejahen. Denn bei den hier betroffenen hochrangigen Rechtsgütern ist ein Einschreiten bereits bei einer geringen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zulässig und geboten. § 45 Abs. 9 S. 2 StVO setzt lediglich eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht,

vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 37.09 -.

Eine solche Gefahrenlage lässt sich nach der gebotenen sorgfältigen Prüfung der von den Beteiligten detailliert geschilderten und durch Lichtbilder verdeutlichten Verkehrssituation feststellen. Die sich für Radfahrende auf dem betroffenen Abschnitt ergebende Gefahrenlage ist erheblich höher als im allgemeinen Straßenverkehr.

Eine auf den örtlichen Begebenheiten beruhende besondere Gefahrenlage ergibt sich daraus, dass vor der Aufstellung der Zeichen 254 aufgrund des derzeit nicht für Radfahrer freigegebenen Bussonderstreifens Radfahrer auf der B7 in der Mitte der Straße zwischen Bussen und PKW fahren mussten. Diese Verkehrsführung bedeutete eine Gefährdung der Radfahrer, die zwischen Individualverkehr und Bussen "eingeklemmt" fuhren. Dieser Umstand begründet hier die besondere Gefahrenlage i.S. § 45 Abs. 9 StVO. Denn zu Stoßzeiten fahren 12 bis 14 Busse in der Stunde über die B7, d.h. ca. ein Bus alle 5 Minuten.

Zwar gab es nach Auskunft der Beklagten in dem relevanten Straßenabschnitt im erfassten Zeitraum keinen einzigen Unfall, an dem ein Radfahrer beteiligt war. Die von der Beklagten genannten 75 Verkehrsunfälle zwischen Individualverkehr und/oder Linienbussen (mit insgesamt 41 Verletzten) innerhalb von etwas mehr als eineinhalb Jahren (1. Januar 2013 bis 1. August 2015) haben sich darüber hinaus ausweislich der Informationen der Polizei an allen von der B. auf die B7 führenden Einmündungen ab der L.-----straße zugetragen, nicht nur an den hier streitgegenständlichen Kreuzungsbereichen. Zudem ist die Anzahl von Unfällen zwischen Bussen und PKW in diesem Bereich seit dem Aufstellen eines Warnschildes im September 2014 an der Einmündung P. Straße/B7 bei einem Vergleich der Unfallstatistiken 12 Monate vor und nach der Aufstellung an dieser Straßeneinmündung um 66,7 % zurückgegangen. Dies vermag aber die besondere Gefährlichkeit, die sich aus der Art der Straßenführung ergibt, nicht zu mindern. Die Tatsache, dass bisher kein Radfahrer zu Schaden gekommen ist, bedeutet nicht zwingend, dass keine gefährliche Lage gegeben ist. Es kann nämlich auch bedeuten, dass die Mehrzahl der Fahrradfahrer den Streckenabschnitt aufgrund seiner Gefährlichkeit aus eigener Einschätzung meidet.

Das Verkehrsaufkommen ist mit derzeit ca. 10.500 Kraftfahrzeugen pro Tag zudem hoch, auch wenn es sich auf zwei Fahrstreifen verteilt und ein solches Verkehrsaufkommen für eine C.-----allee nicht unüblich ist.

Allerdings herrscht auf der B7 durch den Ausbauzustand, der hohe Geschwindigkeiten begünstigt, und gleichzeitig viele einmündende Straßen aufweist, eine insgesamt unübersichtliche Verkehrslage. Zusätzliche Gefahren für Radfahrende durch unübersichtliche Vorfahrtsregelungen oder plötzlich aus Einfahrten kommende PKW bestehen an mehreren Stellen, so dass eine besondere Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO gegeben ist.

Darüber hinaus liegt hier keine Ermessensreduzierung auf null vor, die allein einen Anspruch des Klägers begründen könnte. Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 StVO liegt es im Ermessen der Behörde, ob und welche Maßnahmen sie zur Abwehr der Gefahr ergreift. Die Ermessensentscheidung der Beklagten kann das Gericht nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob sie die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten hat und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO). Dabei kann die Behörde ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 S. 2 VwGO). Bei der Entscheidung über eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO hat die zuständige Straßenverkehrsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen etwa betroffener Anlieger in Rechnung zu stellen. Dabei sind die Belange Einzelner nur insoweit zu berücksichtigen, soweit deren geschützte Individualinteressen berührt werden,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Dezember 2006 - 8 A 4840/05 - juris; König, in: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., 2017, § 45, Rdnr. 28 a.

Gemessen an diesen Maßstäben ist eine Rechtsverletzung des Klägers nicht zu erkennen. Die Beklagte hat das ihr nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO eingeräumte Ermessen, ob und welche Maßnahmen sie zur Beseitigung der Gefahrenlage ergreift, auch unter Berücksichtigung des Interesses des Klägers, fehlerfrei ausgeübt. Es ist nicht feststellbar, dass die Beklagte sich von sachfremden Erwägungen hätte leiten lassen, wesentlichen Sachverhalt nicht aufgeklärt oder verkannt bzw. die Interessen des Klägers nicht erfasst oder nicht ausreichend abgewogen hätte.

Zum einen ist die gesamte Straßensituation in ihrer Gefährlichkeit für den nicht motorisierten Verkehr seitens der Beklagten zutreffend gewürdigt worden. Zum anderen besteht mit der Streckenführung über die Straße "B. " eine zumutbare Alternative, die der Kläger ohne wesentlichen Zeitverlust benutzen kann und die gleichzeitig sicherer ist. Dies belegt, dass die Beklagte sich bei ihrer Entscheidung von sachlichen Gründen hat leiten lassen und die Interessen des Klägers hinreichend berücksichtigt hat.

Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freigabe der Busspur. Denn auch hier liegt einerseits die Gefährlichkeit der Verkehrssituation insgesamt vor. Andererseits ist auch hier keine Ermessensreduktion auf null gegeben. Zusätzlich zu den oben genannten sachlichen Gründen hat die Beklagte nämlich im Sinne der Verwaltungsvorschriften (VwV) zu Zeichen 245 der Anlage 2 zu § 41 StVO als Zielsetzung berücksichtigt, dass zum einen die Sicherheit der Radverkehrs zu gewährleisten ist und zum anderen der Sonderfahrstreifen im Interesse der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs Störungen des Linienverkehrs vermeiden und einen geordneten und zügigen Betriebsablauf ermöglichen soll. Beide Ziele werden durch die gefundene Lösung erreicht. Da aufgrund der Breite des Bussonderstreifens die Radfahrenden nicht überholt werden können und die Busse daher hinter den Radfahrenden herfahren müssten, könnten die Busse den vorgegebenen Fahrplan nicht einhalten. Infolgedessen wäre die Grundfunktion der Busspur, für eine Beschleunigung des ÖPNV zu sorgen, beeinträchtigt. Andererseits ist die Sicherheit des Radverkehrs dadurch gewährleistet, dass mit der Straße B. eine zumutbare Alternativstrecke zur Verfügung steht. Diese entspricht zwar nicht den durch die VwV (II Nr. 4) ausdrücklich genannten Wegen (gesonderter Radweg oder Radfahrstreifen), stellt aber als weniger befahrene und kleinere Straße eine alternative Wegeführung dar.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA). Bei den ERA der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen handelt es sich um ein anerkanntes fachliches Regelwerk von Hinweisen und Empfehlungen, das bei der Entscheidungsfindung - soweit die VwV-StVO keine anderslautenden und abschließenden Vorgaben enthalten - ergänzend heranzuziehen ist. Sie sind allerdings aufgrund ihrer Qualität als technisches Regelwerk weder geeignet, einen Anspruch des Klägers zu begründen noch können sie die Beklagte zu einem bestimmten Tun verpflichten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.