VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.02.2019 - 8 L 5931/17.F
1.Wird die Geltungsdauer einer Baugenehmigung verlängert, kann ein Nachbar die Baugenehmigung, deren Geltungsdauer verlängert wurde, anfechten, da bei der Verlängerung der Geltungsdauer einer Baugenehmigung neu zu prüfen ist, ob das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht.
2.Das nachbarliche Abwehrrecht kann nicht bestehen, wenn der Nachbar durch eine Nachbarerklärung oder einen entsprechenden zivilrechtlichen Vertrag auf dieses verzichtet hat oder wenn bereits eine Nachbarklage gegen die Baugenehmigung, deren Geltungsdauer verlängert wurde, rechtskräftig abgewiesen wurde und keine Umstände vorliegen, die zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller zu 2 und 3, der Antragsteller zu 14 und 15 sowie des Antragstellers zu 22 vom 26.07.2018 und vom 18.12.2018 gegen die dem beigeladenen Land erteilte Baugenehmigung vom 02.06.2017 in der Fassung des 1. Nachtrag zur Baugenehmigung vom 10.10.2018 wird angeordnet, soweit durch die Baugenehmigung in der Fassung des 1. Nachtrags zur Baugenehmigung dem beigeladenen Land eine Nutzung des zu errichtenden Gebäudes in der Nachtzeit (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr) gestattet wird. Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
Die Gerichtskosten haben die Antragsteller zu 2 und 3 als Gesamtschuldner, die Antragsteller zu 14 und 15 als Gesamtschuldner und der Antragsteller zu 22 zu jeweils 2/48, die Antragstellerin zu 1 zu 4/48, die Antragsteller zu 4 und 5, die Antragsteller zu 6 und 7, die Antragsteller zu 8 und 9, die Antragsteller zu 10 und 11, die Antragsteller zu 12 und 13, die Antragsteller zu 16 und 17, die Antragsteller zu 18 und 19 sowie die Antragsteller zu 20 und 21 jeweils als Gesamtschuldner zu jeweils 4/48, die Antragsgegnerin zu 3/48 und das beigeladene Land zu 3/48 zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 2 und 3, der Antragsteller zu 14 und 15 und die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 22 haben diese jeweils zur Hälfte selbst und jeweils zu einem Viertel die Antragsgegnerin und das beigeladene Land zu tragen. Die Antragsteller zu 1, 4 und 5, 6 und 7, 8 und 9, 10 und 11, 12 und 13, 16 und 17, 18 und 19 sowie 20 und 21 haben ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin hat diese zu 6/48 selbst, die Antragsteller zu 2 und 3 als Gesamtschuldner, die Antragsteller zu 14 und 15 als Gesamtschuldner und der Antragsteller zu 22 zu jeweils 2/48, die Antragstellerin zu 1 zu 4/48, die Antragsteller zu 4 und 5, die Antragsteller zu 6 und 7, die Antragsteller zu 8 und 9, die Antragsteller zu 10 und 11, die Antragsteller zu 12 und 13, die Antragsteller zu 16 und 17, die Antragsteller zu 18 und 19 sowie die Antragsteller zu 20 und 21 jeweils als Gesamtschuldner zu jeweils 4/48 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes hat dieses zu 6/48 selbst, die Antragsteller zu 2 und 3 als Gesamtschuldner, die Antragsteller zu 14 und 15 als Gesamtschuldner und der Antragsteller zu 22 zu jeweils 2/48, die Antragstellerin zu 1 zu 4/48, die Antragsteller zu 4 und 5, die Antragsteller zu 6 und 7, die Antragsteller zu 8 und 9, die Antragsteller zu 10 und 11, die Antragsteller zu 12 und 13, die Antragsteller zu 16 und 17, die Antragsteller zu 18 und 19 sowie die Antragsteller zu 20 und 21 jeweils als Gesamtschuldner zu jeweils 4/48 zu tragen.
Der Streitwert wird auf 90.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin, Az. B-,-###-#, und des Nachtrags zur Baugenehmigung vom 10.10.2018 anzuordnen,
ist zulässig.
Gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage in einem Fall anordnen, in dem diese - wie vorliegend - aufgrund bundesgesetzlicher Regelung entfällt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
Der Antrag ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Bei der Entscheidung über einen Antrag gemäß den §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage anordnen und einstweilige Sicherungsmaßnahmen treffen. Es hat bei seiner Entscheidung das Interesse des Bauherrn, die erteilte Baugenehmigung alsbald auszunutzen, gegen das Interesse des Nachbarn, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von der Vollziehung der Baugenehmigung verschont zu bleiben, abzuwägen. Dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist stattzugeben, wenn die Baugenehmigung offensichtlich die Rechte des Nachbarn verletzt. Denn in diesem Fall kann kein überwiegendes Interesse des Bauherrn oder der Öffentlichkeit an einer sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung bestehen. Umgekehrt ist der Antrag des Dritten abzulehnen, wenn die Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt. Ist weder das eine noch das andere bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sachlage offensichtlich, so hat das Gericht entsprechend der von dem Vorhaben berührten Interessen der Beteiligten zu entscheiden.
Ein Abwehrrecht des Dritten gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung besteht nur,
wenn ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, und die Voraussetzungen für eine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen,
und die verletzten Vorschriften auch zum Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind,
und durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschrift geschützten nachbarlichen Belange eintritt (ständige Rechtsprechung der Bausenate des Hess. VGH seit dem Beschluss vom 01.08.1991 - 4 TG 1244/91 - BauR 1992, 217; vgl. aus jüngerer Zeit etwa Beschluss vom 09.10.2015 - 4 B 1353/15 - NVwZ-RR 2016, 247).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Frage, ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zu beurteilen. Allerdings müssen Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.04.1996 - 4 B 54/96 - NVwZ-RR 1996, 628; Beschluss vom 23.04.1998 - 4 B 40/98 - NVwZ 1998, 1179).
Den Antragstellern zu 2 und 3, den Antragstellern zu 14 und 15 sowie dem Antragsteller zu 22 steht ein Abwehrrecht gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu. Den übrigen Antragstellern steht kein Abwehrrecht zu.
Das beigeladene Land beabsichtigt, einen Sonderbau zu errichten. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 8 Nr. 6 a und 9 a der auch nach Erteilung der 1. Nachtragsbaugenehmigung zur Baugenehmigung vom 10.10.2018 gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 der Hessischen Bauordnung vom 28.05.2018 (GVBl. S. 198) noch anwendbaren HBO 2002. Nach § 87 Abs. 2 Satz 1 HBO 2018 gilt nämlich für Vorhaben, zu den Verfahren vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, das bisherige Recht. Gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 6 a HBO 2002 sind Versammlungsstätten mit Versammlungsräumen, die einzeln mehr als 200 Besucher fassen, Sonderbauten; gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 9 a HBO 2002 sind Schank- und Speisegaststätten mit mehr als 120 m2 Bruttogrundfläche der Gasträume Sonderbauten. Nach der Nutzungsbeschreibung Studierendenhaus Uni A-Stadt in der Fassung der Ergänzung vom 21.02.2018 beträgt die höchstzulässige Zahl der Nutzer des großen Saals bei geschlossenen Vorhang 400 Personen und bei aufgezogenen Vorhang 800 Personen. Der für den Betrieb des Caf?s im Erdgeschoss vorgesehene Raum hat eine Grundfläche von 152,60 m2.
Als Sonderbau wurde das Vorhaben des beigeladenen Landes im Baugenehmigungsverfahren nach § 58 HBO 2002 geprüft. Die Bauaufsichtsbehörde hat somit insbesondere die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuches und aufgrund des Baugesetzbuches sowie nach den Vorschriften der HBO 2002 und aufgrund der HBO 2002 geprüft (§ 58 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 HBO 2002). Der Erschütterungsschutz und die Anforderungen des baulichen Arbeitsschutzes wurden jedoch nicht geprüft (§ 58 Satz 3 HBO 2002). Auch die Prüfung des Gerichts erstreckt sich daher sowohl auf die Vorschriften des Bauplanungsrechts als auch auf die Vorschriften des Bauordnungsrechts.
Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Vorhaben des beigeladenen Landes an den Festsetzungen des Bebauungsplans der Antragsgegnerin Nr. 802 - Universität am AG-Park - . Dieser setzt für das Baugrundstück ein Sondergebiet Hochschule fest. Nach den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind im Sondergebiet Hochschule zulässig:
- Einrichtungen für Hochschulen/Universität
- Hochschulnahe Nutzungen und sonstige wissenschaftliche Nutzungen
- Studentenwohnungen und -wohnheime sowie Wohnungen für Angehörige und Gäste der Universität
- Kindertagesstätten
- die der Versorgung des Gebietes dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften
- Anlagen zur Energieversorgung - Fernheizung -.
Die Grundflächenzahl wird auf 0,8, die Geschossfläche wird auf 18 000 m2, die Zahl der Vollgeschosse auf sechs und die Bauweise als geschlossen festgesetzt. Für das Baugrundstück wird darüber hinaus durch die Verwendung der Abkürzung "ZA" noch eine Festsetzung im Sinne § 12 Abs. 6 BauNVO 1990 dahin getroffen, dass Stellplätze, Tiefgaragen und Garagen nur innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig sind, wobei keine mehrgeschossigen, oberirdischen Garagen (Parkhäuser, Parkdecks) zulässig sind. Die überbaubare Grundstücksfläche wird für das Baugrundstück außerdem noch durch die Festsetzung von Baugrenzen beschränkt.
Die Grundstücke, deren Eigentümer die Antragsteller sind, befinden sich in einem durch den Bebauungsplan festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet. Das Wohngebiet wird durch eine als (öffentliche) Verkehrsfläche festgesetzte Straße (A-Straße/I-Straße) erschlossen. Die übrigen durch den Bebauungsplan festgesetzten Sondergebiete Hochschule werden lediglich durch mit Geh-, Fahr- oder Leitungsrechten, durch mit Geh- und Leitungsrechten bzw. mit Gehrechten zu Gunsten der Allgemeinheit zu belastende Flächen erschlossen.
Das Vorhaben des beigeladenen Landes entspricht - mit Ausnahme der Errichtung des dem Caf?s zugeordneten Wirtschaftsgartens und der beiden Stellplätze für Behinderte - den Festsetzungen des Bebauungsplans.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller gilt dies auch in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung. Alle für das Studierendenhaus vorgesehenen Nutzung sind Nutzungen, die in einer Einrichtung für Hochschulen/Universität oder als Schank- und Speisewirtschaft, die der Versorgung des Gebiets dient, zulässig sind. Die Studierenden einer Hochschule bilden gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 HHG die Studierendenschaft. Die Studierendenschaft ist nach § 76 Abs. 1 Satz 2 HHG eine Körperschaft des öffentlichen Recht und als solche Glied der Hochschule. Ein von der Studierendenschaft als Glied der Hochschule genutztes Gebäude ist somit eine Einrichtung der Hochschule. Das gilt auch insoweit, als in der Nutzungsbeschreibung vorgesehen ist, dass der Vorstand des AStA die Räume Partykeller, Caf? Kommunikationszentrum (Caf? KOZ), Kleiner Saal, Großer Saal sowie den Konferenzräume, aber auch das ganze Haus an Studierende vermieten kann. Auch bei einer Vermietung werden der vermietete Raum oder die vermieteten Räume auch noch durch Mitglieder der Universität genutzt. Gemäß § 55 Abs. 1 HHG werden die Studierenden durch Immatrikulation Mitglieder der Hochschule. Der Kleine Saal wird durch eine Nutzung für Filmvorführungen, die nach der Nutzungsbeschreibung in der Regel zweimal in der Woche vorgesehen ist, ebenso wie der Große Saal und/oder das Foyer, soweit sie für Feste genutzt werden, nicht zu einer Vergnügungsstätte. Vergnügungsstätten sind eine besondere Art von Gewerbebetrieben, die - in unterschiedlicher Weise - durch kommerzielle Freizeitgestaltung und Amüsierbetrieb gekennzeichnet sind (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 4a BauNVO, Rdnr. 69 [Stand der Kommentierung: 125. Ergänzungslieferung Mai 2017]). Der AStA der AI-Universität ist kein Gewerbebetrieb, das Studierendenhaus soll auch keiner kommerziellen Freizeitgestaltung dienen, sondern für studentische Veranstaltung ohne Gewinnerzielungsabsicht genutzt werden.
Gegen die Errichtung und den Betrieb des Wirtschaftsgartens und die Errichtung und Nutzung der beiden Stellplätze für Behinderte steht den Antragstellern kein nachbarliches Abwehrrecht zu.
Die Festsetzung der Baugrenzen in dem Bebauungsplan sind nach der Überzeugung der Kammer zwar insoweit, als sie verhindern, dass Gebäude der Universität näher als durch die Baufester bestimmt an das Allgemeine Wohngebiet, im dem sich die Grundstücke der Antragsteller befinden, heranrücken, nachbarschützend. In der Begründung des Bebauungsplans steht unter dem Gliederungspunkt 7.1 Art der baulichen Nutzung zum Allgemeinen Wohngebiet u. a. das Folgende:
"Die direkte Nachbarschaft vom Allgemeinen Wohngebiet und Sondergebiet Hochschule wird als vertretbar angesehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass von beiden Nutzungen keine Störungen ausgehen, die den jeweiligen anderen Gebietscharakter grundsätzlich beeinträchtigen. Die Einfamilienhausgrundstücke profitieren von dem Entwurfskonzept, indem sie in den zentralen Grünzug eingefügt werden. Gleichzeitig wird damit ein ausreichender Abstand der Universitätsbauten zur Wohnbebauung gesichert."
Der "zentrale Grünzug", die durch den Bebauungsplan festgesetzte private Grünfläche, reicht bis an die Grenzen der durch die Baugrenzen festgesetzten "Baufenster" für die Universitätsbauten. Die Baugrenzen stellen somit sicher, dass der zentrale Grünzug nicht überbaut wird. Durch den Grünzug soll ausweislich der Begründung des Bebauungsplans auch ein ausreichender Abstand der Universitätsbauten zur Wohnbebauung gesichert werden. Damit sollen somit die Interessen der Bewohner des Allgemeinen Wohngebiets, dass die Universitätsbauten einen ausreichenden Abstand zu den Wohngebäuden einhalten, geschützt werden. Die Festsetzung der dem Allgemeinen Wohngebiet zugewandten Baugrenzen ist somit drittschützend.
Die Antragsgegnerin hat in dem 1. Nachtrag zur Baugenehmigung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung für die Herstellung von einer befestigten Fläche zur Nutzung als Caf?terrasse im Südwesten des Grundstücks auf nicht überbaubarer Grundstücksfläche erteilt. Da diese Befreiung rechtmäßig ist, steht den Antragstellern kein nachbarliches Abwehrrecht gegen die Errichtung und Nutzung des Wirtschaftsgartens zu.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei einer fehlerhaften Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben, d. h., bei einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 19.09.1986 - 4 C 8/84 - NVwZ 1987, 409; sowie Beschluss vom 08.07.1998 - 4 B 64/98 - NVwZ-RR 1998, 8 und Beschluss vom 27.08.2013 - 4 B 39/13 - BauR 2013, 2011).
Die Antragsgegnerin hat § 31 Abs. 2 BauGB bei der Erteilung der Befreiung aber nicht fehlerhaft angewendet. Die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB liegen vor. Danach kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung städtebaulich vertretbar ist und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Wie schon ausgeführt, sollen die durch die Baugrenzen bestimmten Baufenster einen ausreichenden Abstand zwischen den Nutzungen für Universitätszwecke und der Wohnnutzung sicherstellen. Die Grundzüge der Planung werden durch eine Abweichung somit erst dann berührt, wenn die im Wege der Befreiung gestatte Nutzung so nah an die Wohnnutzung heranrückt, dass dies mit dem Gebietscharakter des Allgemeinen Wohngebiets nicht mehr zu vereinbaren ist. Soweit der Wirtschaftsgarten in westlicher Richtung die Baugrenze überschreitet, ist der Abstand zum Allgemeinen Wohngebiet nicht kleiner als er durch die Baugrenze in südlicher Richtung festgesetzt wird. Insoweit werden die Grundzüge der Planung somit gar nicht berührt. Soweit der Wirtschaftsgarten in südlicher Richtung die dort festgesetzte Baugrenze um sieben Meter überschreitet, rückt der Wirtschaftsgarten näher an das Allgemeine Wohngebiet heran, als dies das festgesetzte "Baufenster" gestattet. Der Wirtschaftsgarten kann das Wohnen in dem Allgemeinen Wohngebiet nur durch die Geräusche, die mit seiner Nutzung verbunden sind, stören. Wenn diese Geräusche in einem Allgemeinen Wohngebiet zulässig sind, ist ein ausreichender Abstand zwischen der Universitätsnutzung und der Wohnnutzung sichergestellt.
In einem Allgemeinen Wohngebiet gelten gemäß Nr. 6.1 e der TA Lärm Immissionsrichtwerte von tags 55 dB (A) und nachts 40 dB (A). Nach der Nutzungsbeschreibung in der Fassung der Ergänzung vom 21.02.2018 kann die Terrasse tagsüber (08.00 bis 22.00 Uhr) auf der Süd- und Westseite genutzt werden und dafür mit Außenmöblierung bestückt werden. Bis 22 Uhr wird die Möblierung weggeräumt und der Südeingang geschlossen. Für den Wirtschaftsgarten ist somit keine Nutzung zur Nachtzeit vorgesehen. Nach der schalltechnischen Bearbeitung Studierendenhaus Campus Westend vom 24.04.2018 des Ingenieurbüros AH., auf die später noch detaillierter eingegangen wird, werden der Immissionsrichtwert für die Tagzeit eines Allgemeinen Wohngebiets für den Immissionspunkt A-Straße durch die Nutzung der Außenterrasse durch bis zu 150 Personen um sechs dB (A) unterschritten. Durch die Erteilung einer Befreiung von der überbaubaren Grundstücksfläche für den Betrieb des Wirtschaftsgartens tagsüber werden daher die Grundzüge der Planung nicht berührt, die Abweichung ist städtebaulich vertretbar und sie ist auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
Für die Errichtung der beiden Stellplätze für Behinderte hat die Antragsgegnerin keine Befreiung erteilt, obwohl nach Nr. 3.1.1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Stellplätze in den Sondergebieten nur innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig sind, womit auch ausgeschlossen wird, diese beiden Stellplätze nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO 1990 zuzulassen. Da ein nachbarliches Abwehrrecht aber schon dann nicht besteht, wenn die Voraussetzungen für Erteilung einer Befreiung vorliegen, und im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen vorliegen, führt die Nichterteilung einer Befreiung nicht zum Bestehen eines nachbarlichen Abwehrrechts. Von der Nutzung von lediglich zwei Stellplätzen für Behinderte können keine nennenswerten Beeinträchtigungen der nachbarlichen Interessen der Antragsteller ausgehen. Auch für diese Nutzung hätte die Antragsgegnerin somit eine Befreiung nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 BauGB erteilen können.
Die dem beigeladenen Land erteilte Baugenehmigung verstößt nicht deswegen gegen Festsetzungen des Bebauungsplans, weil lediglich vorgesehen ist, zwei Behindertenstellplätze einzurichten. In der Baugenehmigung wird unter IV. Stellplätze das Folgende angeführt:
"Die Grundlage für den Stellplatznachweis bildet die Gesamtberechnung für den Uni-Campus. Somit entsteht für dieses Vorhaben kein zusätzlicher Stellplatzbedarf, da die Zahl der Studenten durch dieses Bauvorhaben unverändert bleibt. Hiervon befinden sich auf dem Grundstück des beantragten Bauvorhabens 2 Behinderten-Stellplätze in der Nähe des Eingangsbereichs."
Der Bebauungsplan lässt zwar - wie schon ausgeführt - auf dem Baugrundstück die Errichtung von Stellplätzen, Tiefgaragen und Stellplätzen zu. Er enthält aber auch - gemäß den Ermächtigungen der §§ 9 Abs. 4 BauGB, 81 Abs. 4 HBO 2002 - bauordnungsrechtliche Festsetzungen. Unter Nr. 12 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans wird § 3 Abs. 2 Satz 1 der Stellplatzeinschränkungssatzung der A-Stadt (Amtsblatt 1998, Seite 537) wie folgt geändert: "Für das Sondergebiet Hochschule wird die Herstellung notwendiger Stellplätze und Garagen auf insgesamt 1.100 Stellplätze eingeschränkt." § 3 Abs. 1 der Stellplatzeinschränkungssatzung der Antragsgegnerin vom 20.07.1998 sah vier Einschränkungsbereiche vor, in denen die Herstellung notwendiger Stellplätze und Garagen eingeschränkt wurde. § 3 Abs. 2 dieser Stellplatzeinschränkungssatzung sah für die einzelnen Einschränkungsbereiche unterschiedliche Prozentzahlen der Einschränkung der Herstellungspflicht von notwendigen Stellplätzen und Garagen vor. Die Stellplatzeinschränkungssatzung der Antragsgegnerin vom 20.07.1998 ist mit dem Inkrafttreten der Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin vom 20.12.2016 (Amtsblatt Nr. 1/2 vom 10.01.2017, Seite 32) Anfang des Jahre 2017 außer Kraft getreten. Nach § 8 der Stellplatzsatzung vom 20.12.2016 bleiben abweichende bauordnungsrechtliche Festsetzungen zur Herstellungspflicht von Garagen, Stellplätzen und Abstellplätzen in Bebauungsplänen unberührt.
Die Beschränkung der Herstellung von notwendigen Stellplätzen und Garagen auf insgesamt 1 100 Stellplätze ist wirksam. § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HBO 2002 ermächtigte die Gemeinden dazu, durch Satzung Vorschriften über die Ausstattung, Gestaltung und Größe und Zahl der Stellplätze für Kraftfahrzeuge sowie der Abstellplätze für Fahrräder zu erlassen. § 44 Abs. 1 Satz 1 HBO 2002 bestimmte, dass die Gemeinden unter Berücksichtigung der örtlichen Verkehrsverhältnisse festlegen, ob und im welchem Umfang bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen oder sonstigen Anlagen, bei denen ein Zu- oder Abgangsverkehr zu erwarten ist, geeignete Garagen oder Stellplätze für Kraftfahrzeuge und Abstellplätze für Fahrräder errichtet werden müssen, um den Erfordernissen des ruhenden Verkehrs zu genügen (notwendige Garagen, Stellplätze und Abstellplätze). § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 HBO 2002 in der zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplan geltenden Fassung ermächtigte die Gemeinden insoweit, durch Satzung die Einschränkung oder Untersagung der Herstellung von notwendigen oder nicht notwendigen Garagen oder Stellplätzen, soweit Gründe des Verkehrs oder städtebauliche Gründe dies erfordern, zu regeln. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 HBO 2002 in der zur Zeit der Aufstellung des Bebauungsplan geltenden Fassung konnten in den Bebauungsplan Vorschriften nach § 81 Abs. 1 und 2 HBO 2002 sowie nach § 44 Abs. 1 Satz 2 HBO 2002 aufgenommen werden.
Die Antragsgegnerin hat bei der Aufstellung des Bebauungsplan von der ihr durch die §§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, 81 Abs. 4 Satz 1 HBO 2002 gegebenen Möglichkeit, in Abweichung von der bestehenden Stellplatzeinschränkungssatzung in den Bebauungsplan eine nur für den Geltungsbereich dieses Bebauungsplan geltende Einschränkung der Herstellung notwendiger Stellplätze und Garagen zu regeln, Gebrauch gemacht. In der Begründung des Bebauungsplans wird unter Nr. 10.1 das Folgende ausgeführt:
"Nach der gültigen Stellplatzsatzung der A-Stadt vom 20.07.1998 (Amtsblatt 1998, 537) liegt das Sondergebiet Hochschule im Einschränkungsbereich 2, in dem lediglich 30 % der nach der Stellplatzsatzung notwendigen Stellplätze hergestellt werden dürfen und im Einschränkungsbereich 4 [,] in dem 80 % der Stellplätze hergestellt werden dürfen.
Diese Teilung des Geltungsbereichs ist aufgrund der einheitlichen Planung für das Gebiet nicht aufrecht zu erhalten. Das Sondergebiet Hochschule bildet in Nutzung und Funktion eine Gesamteinheit, die eine einheitliche Regelung des Stellplatzbedarfs erfordert.
Das Planungsgebiet ist durch die U-Bahnlinien 1 bis 3 sowie die ergänzenden Buslinien an den ÖPNV angebunden. Durch die allgemeine Bereitstellung des Semestertickets wird den Studenten zu besonders günstigen Konditionen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ermöglicht, so dass bereits heute ein hoher Anteil an ÖPNV-Nutzung durch die Studenten der AI-Universität besteht. Von diesem kann auch in Zukunft ausgegangen werden. Die das Gebiet erschließende Straßen, AJ-Straße, AK-Straße, AL-Straße und AM-Straße, sind bereits stark belastet.
Für das Sondergebiet Hochschule wird daher eine Gesamtzahl von 1.100 Stellplätzen als ausreichend angesehen.
§ 3 der Stellplatzeinschränkungssatzung der A-Stadt wird somit dahingehend eingeschränkt, dass für das Sondergebiet Hochschule die Herstellung notwendiger Stellplätze und Garagen auf insgesamt max. 1.100 Stellplätze eingeschränkt wird (siehe 9.2)."
Die Kammer hat unter Würdigung dieser Begründung keine Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin bei der Aufnahme der bauordnungsrechtlichen Beschränkung der Herstellung von Stellplätzen in den Bebauungsplan das Vorliegen der dafür gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 HBO 2002 erforderlichen Gründe des Verkehrs sowie der städtebaulichen Gründen dafür überzeugend dargelegt hat.
Das beigeladene Land hat in dem Stellplatznachweis, der Bestandteil der Genehmigung ist, nachgewiesen, dass bereits 810 Stellplätze auf dem Campus AO-Stadt errichtet sind. Für das Deutsche Institut für Pädagogische Forschung, das im Bau ist, sind zwei Stellplätze genehmigt. Für weitere geplante Gebäude sind jeweils nur sehr geringe Stellplatzzahlen (drei bis vier) vorgesehen. In einer geplanten Tiefgarage sind 275 Stellplätze vorgehen. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass der Bauherr das ihm zustehende Recht, selbst zu bestimmen, an welcher Stelle welche Zahl der insgesamt auf 1 100 beschränkten Stellplätze hergestellt werden, in dem Stellplatznachweis ordnungsgemäß ausgeübt hat.
Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass entgegen der textlichen Festsetzung Nr. 12 des Bebauungsplans die Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin auf das Vorhaben des beigeladenen Landes anzuwenden ist, würde dies nicht zum Erfolg des Eilantrags führen. Nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sind die Regelungen einer Stellplatzsatzung mit der Festlegung der Anzahl notwendiger Stellplätze nicht nachbarschützend. Sie dienen allein dem Interesse der Allgemeinheit und sollen verhindern, dass der öffentliche Verkehrsraum über den Gemeingebrauch hinaus durch das Abstellen von Fahrzeugen belastet und dadurch die öffentliche Sicherheit gefährdet werden. Ein nachbarliches Abwehrrecht kann sich nur aus dem durch § 15 Abs. 1 BauNVO konkretisierten Rücksichtnahmegebot ergeben (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 12.05.2003 - 9 TG 2037/02 - BRS 66 Nr. 190; Hess. VGH, Beschluss vom 25.10.2016 - 3 B 2377/16 - BauR 2017, 514). In einem durch ein Vorhaben ausgelösten höheren Verkehrsaufkommen einschließlich eines erhöhten Parkplatzsuchverkehrs liegt in der Regel kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das durch das Eigentum und die Baugenehmigung vermittelte Recht der Anwohner einer Straße zur bestimmungsgemäßen Nutzung ihrer Grundstücke begründet kein Recht auf bevorzugte Nutzung des angrenzenden öffentlichen Straßenraums. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann in diesem Zusammenhang nur angenommen werden, wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des eigenen Grundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist. Eine solche Beeinträchtigung liegt nicht schon darin, dass die Anwohnerstraße durch Besucher des Vorhabens frequentiert wird. Probleme, die sich aus der Verknappung öffentlichen Straßenraums auf verschiedene Verkehrsteilnehmer ergeben, sind vorrangig mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts zu lösen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 25.10.2016, a. a. O., juris-Rdnr. 9).
Im vorliegenden Fall liegen die Grundstücke der Antragsteller an der - einzigen durch den Bebauungsplan in seinem Geltungsbereich festgesetzten - öffentlichen Straße A-Straße/I-Straße. Besucher des Studierendenhauses werden versuchen, in diesen relativ engen Straßen einen Parkplatz zu finden. Erfolg kann dies nur in einem sehr eingeschränkten Umfang haben, da nur wenige legale Parkmöglichkeiten auf der Straße zur Verfügung stehen. Der Stellplatzbedarf der Grundstücke der Antragsteller ist auf diesen Grundstücken zu erfüllen. Nr. 3.1.5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans bestimmt in diesem Zusammenhang, dass im Allgemeinen Wohngebiet Stellplätze und Garagen nur innerhalb der als eingeschossig festgesetzten Bauflächen und gemäß Nr. 13.1 zulässig sind. Nr. 13.1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans bestimmt, dass die Vorgartensatzung dahin geändert wird, dass pro Grundstück ein Stellplatz mit maximal 3,0 m Breite zulässig ist. Da der Stellplatzbedarf der Antragsteller auf ihren Grundstücken zu erfüllen ist, werden durch ein legales Abstellen von Kraftfahrzeugen in der A-Straße oder der I-Straße keine Rechte der Antragsteller verletzt. Es besteht allerdings die Gefahr, dass Besucher des Studierendenhauses ihre Kraftfahrzeuge rechtswidrig an nicht zulässigen Stellen abstellen und dabei die Ein- und Ausfahrten auf und aus den Grundstücken der Antragsteller blockieren. Insoweit sind die Antragsteller aber darauf zu verweisen, dass die Hilfe des Ordnungsamts der Antragsgegnerin oder der Polizei in Anspruch genommen werden muss, damit das illegale Abstellen von Kraftfahrzeugen beendet wird.
Auch im Übrigen verstößt das Vorhaben des beigeladenen Landes nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1990 sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO 1990 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1990 auch unzulässig, wenn von Ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiets selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Das Vorhaben des beigeladenen Landes ist wahrscheinlich insoweit unzulässig, als von ihm für die Nutzung der Grundstücke der Antragsteller zu 2 und 3 (A-Straße), der Antragsteller zu 14 und 15 (AA-Straße) und des Antragstellers zu 22 (I-Straße) in der Nachtzeit voraussichtlich Belästigungen und Störungen ausgehen werden, die unzumutbar sind.
Gegenstand des 1. Nachtrags zur Baugenehmigung vom 10.10.2018 ist neben der Erteilung einer Befreiung von der überbaubaren Grundstücksfläche für die Nutzung der Caf?terrasse die Nutzungsbeschreibung Studierendenhaus Uni A-Stadt in der Fassung der Ergänzung vom 21.02.2018 und die Überarbeitung der schalltechnischen Bearbeitung Studierendenhaus Campus Westend der AH-Ingenieure vom 24.04.2018, die insbesondere die Änderungen in der Ergänzung der Nutzungsbeschreibung vom 21.02.2018 berücksichtigt. Die schalltechnische Bearbeitung untersucht die Immissionen, die von einem Betrieb des Studierendenhauses am Tag und in der Nacht auf drei Immissionspunkte ausgehen werden. Immissionspunkt 1 (IP 1) ist das Gebäude auf dem Grundstück AN-Straße, IP 2 ist das Gebäude I-Straße und IP 3 das Gebäude A-Straße. Für die Untersuchung in der Nacht wurde vom ungünstigen Fall, einer (gleichzeitigen) Veranstaltungsnutzung des Caf?s, des Großen Saals sowie des Partyraums ausgegangen. Tags wurde von teilgeöffneten Fenstern des Caf?s sowie des Großen Saals ausgegangen. In der Berechnung wurden sich unterhaltende Personen berücksichtigt, und zwar 20 Personen nördlich des Gebäudes (Raucher) und 150 Personen im südwestlichen Bereich (Außenterrasse des Caf?s). Die Untersuchung errechnet für den IP 2 einen Beurteilungspegel von tags 42,0 dB (a) und nachts 30,8 dB (A) und für den IP 3 einen Beurteilungspegel von tags 48,5 dB (A) und nachts 27,6 dB (A). Für das durch den Bebauungsplan festgesetzte Allgemeine Wohngebiet, in den sich die IP 2 und 3 befinden, gelten nach der TA Lärm Immissionsrichtwerte von 55 dB (A) tags (6.00 bis 22.Uhr) und 40 dB (A) nachts (22.00 bis 6.00 Uhr). Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass zur Tageszeit die zulässigen Immissionsrichtwerte in allen Bereichen um mehr als 6 dB (A) unterschritten würden und an den IP 2 und 3 auch nachts die Immissionsrichtwerte um mehr als 6 dB (A) unterschritten würden.
Die Ergebnisse der schalltechnischen Bearbeitung erscheinen in Bezug auf die Tagzeit als überzeugend. Bei der Außenterrasse des Caf?s wurde von einer Nutzung durch 150 Personen, die sich unterhalten, ausgegangen. Dies führt, wie sich aus der farbigen Rasterlärmkarte ergibt, im Umkreis der Terrasse zwar zu einem hohen Beurteilungspegel über 60 dB (A), der jedoch in weiterer Distanz deutlich abnimmt. Beim IP 2 erreicht der Beurteilungspegel über 40 dB (A) bis unter 45 dB (A) und beim IP 3 erreicht der Beurteilungspegel über 45 dB (A) bis unter 50 dB (A). Die Raucher an der nördlichen Seite des Gebäudes verursachen dort zwar auch einen hohen Lärmpegel, der mit der Distanz aber auch deutlich abnimmt. Wegen der Abschirmungswirkung des Studierendenhauses wirken sich diese Emissionen auf die Grundstücke der Antragsteller nicht aus. Auch die Veranstaltungen im Caf? und im Großen Saal haben kaum Auswirkungen auf die Nutzung der Grundstücke der Antragsteller, da sie in geschlossenen Räumen stattfinden und Fensteröffnungen sich nur nach Osten und nach Westen befinden. Insgesamt ist daher in der Tageszeit auch bei einer Nutzung für eine "Große Veranstaltung", bei der sich ausweislich der Nutzungsbeschreibung bei einer gemeinsamen Nutzung des Partykellers, des Caf? KOZ, des Foyers und des Großen Saals maximal 1 730 Personen im Gebäude befinden, von einer deutlichen Unterschreitung des zulässigen Immissionsrichtwerts des TA Lärm auszugehen. Auch für eine Nutzung für eine "Große Veranstaltung" am Tag ist die Baugenehmigung in der Fassung des 1. Nachtrags daher offensichtlich rechtmäßig.
Die Ergebnisse der schalltechnischen Bearbeitung sind aber für die Nachtzeit nicht überzeugend. Die Bearbeitung geht von den Vorgaben der Nutzungsbeschreibung aus, dass die Erschließung des Gebäudes tagsüber über den dem Campus zugewandten südlichen Gebäudezugang, nachts der Zu- und Ausgang ausschließlich auf der der benachbarten Wohnbebauung abgewandten Nordseite erfolgt und dass tagsüber die Terrasse auf der Süd- und auf der Westseite genutzt und dafür mit Außenmöblierung bestückt werden kann, dass die Möblierung aber bis 22.00 Uhr weggeräumt und der Südeingang geschlossen wird. Die schalltechnische Bearbeitung schlägt als Schallschutzmaßnahmen (organisatorische Maßnahmen) vor, dass bei einer Veranstaltungsnutzung nach 22.00 Uhr sicherzustellen sei, dass der Zu- und Abgang ausschließlich von der Nordseite her erfolge. Die Nutzung des Eingangsbereichs in der Südfassade könne für eine Veranstaltungsnutzung nachts aufgrund der relativ kurzen Abstände zu den nächsten schutzbedürftigen Nutzungen nicht vorgesehen werden. Auch Raucherbereiche seien bei Veranstaltungen nach 22.00 Uhr ausschließlich nördlich des Gebäudes vorzusehen. Fenster und Türen sollten während geräuschintensiven Veranstaltungen (im Großen Saal, Kleinen Saal, Partyraum, Caf?, Kino) geschlossen gehalten werden.
Die bei der Berechnung der Beurteilungspegel in der Nachtzeit für die Immissionspunkte P 2 und P 3 in der schalltechnischen Bearbeitung zugrunde gelegten Umstände der (gleichzeitigen) Nutzung des Caf?s, des Großen Saals sowie des Partyraums sind nach der Überzeugung der Kammer nicht realistisch. Die schalltechnische Bearbeitung geht davon aus, dass sich lediglich im Raucherbereich nördlich des Gebäudes zwanzig Personen aufhalten. Bei einem Aufenthalt von 1 700 Personen in dem Gebäude ist es - insbesondere im Sommer - nicht vorstellbar, dass sich lediglich 20 Personen außerhalb des Gebäudes aufhalten. Schon die Zahl der Raucher dürfte nicht lediglich etwas über ein Prozent der Besucher betragen, sondern deutlich höher sein. Während des Endes von Veranstaltungen im Großen Saal und im Caf?, aber auch im Pausen dürften einige Personen das Gebäude verlassen und sich außerhalb des Gebäudes in Gruppen unterhalten. Im größeren Ausmaß dürfte dies für die Besucher des Partykellers gelten, für den die maximale Personenzahl mit 330 in der Nutzungsbeschreibung angegeben wird. Während Partys, bei denen laute Musik abgespielt und auch getanzt werden dürfte, dürften viele Besucher den Partyraum zeitweilig verlassen und außerhalb des Gebäudes rauchen und/oder sich mit anderen Partygästen unterhalten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Besucher von Veranstaltungen oder von Partys bei einem Aufenthalt außerhalb des Gebäudes auf die Freifläche nördlich des Gebäudes beschränken werden. Die dort mit Betonplatten zu befestigende Fläche ist nach dem Freiflächenplan, der Bestandteil des 1. Nachtrags zur Baugenehmigung ist, lediglich 7,70 m breit und knapp 30 m lang. Die Fläche ist daher nicht sonderlich groß. Die Besucher von Veranstaltungen oder Partys werden deshalb auch die Fläche der Außenterrasse zum Aufenthalt nutzen. In der Nutzungsbeschreibung ist lediglich vorgesehen, dass nachts die Außenmöblierung entfernt wird. Damit kann die Fläche aber immer noch nachts zum Aufenthalt (im Stehen) genutzt werden. Verhindert werden könnte dies nur durch eine Einzäunung der Terrasse, die eine solche Höhe erreicht, dass ein Überklettern nur schwer möglich ist. Eine Einzäunung der Terrasse ist aber bislang nicht vorgesehen. Für einen Aufenthalt von Personen in der Nachtzeit bietet sich darüber hinaus auch die Freifläche vor der Südseite des Studierendenhauses an. Dort ist ein gut acht Meter breiter Zugang aus Muschelkalkplatten zum Gebäude vorgesehen. Westlich und östlich davon ist eine Rasenfläche vorgesehen, wobei in der - großen - Rasenfläche östlich ledig noch die Errichtung einer drei Meter breiten und zwölf Meter langen Pflanzfläche, die Einrichtung der zwei Behindertenstellplätze und die Anpflanzung von drei Bäumen vorgesehen ist. Die beiden Rasenflächen bieten sich daher für den Aufenthalt von Personen geradezu an. Halten sich nachts Personen südlich des Studierendenhauses auf, erscheint - wie dies auch in der schalltechnischen Bearbeitung vorausgesagt wird - eine Überschreitung des Immissionsrichtwerts der TA Lärm nachts von 40 dB (A) für ein Allgemeines Wohngebiet als sehr wahrscheinlich. Schaut man sich die farbige Rasterlärmkarte in der Nacht-Situation an, die lediglich von einem Aufenthalt von zwanzig Rauchern nördlich des Gebäudes ausgeht, ist es im hohen Maße wahrscheinlich, dass bei einem Aufenthalt von mehr als 20 Personen südlich des Gebäudes der Immissionsrichtwert von (lediglich) 40 dB (A) bei den drei Grundstücken der Antragsteller A-Straße und I-Straße # und #, die dem geplanten Studierendenhaus an nächsten liegen, überschritten wird. Dies bedeutet, dass eine Nutzung des Studierendenhauses in der Nachtzeit gegenüber den Eigentümern dieser Grundstücke unzulässig im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1990 wäre.
Mit dem 1. Nachtrag zur Baugenehmigung hat das beigeladene Land Möglichkeiten, eine unzulässige Lärmbelästigung für die Antragsteller zu 2 und 3, zu 14 und 15 sowie zu 22 auszuschließen, nicht genutzt. Der geplante Wall, der vor den Gebäuden der Antragsteller errichtet werden soll, der auch Gegenstand der Erörterungen im zweiten gerichtlichen Erörterungstermin am 02.05.2018 war, ist nicht zum Gegenstand des 1. Nachtrags gemacht worden. Die Kammer ist darüber verwundert, da sie davon ausgeht, dass der Wall geeignet ist, die Lärmemissionen, die von dem Studierendenhaus ausgehen werden, auf die Grundstücke der Antragsteller zu verringern. Das beigeladene Land hat mit dem Nachtragsbauantrag ebenfalls von der im zweiten Erörterungstermin erörterten Planungsvariante, durch eine andere Gestaltung der Freifläche vor dem südlichen Teil des Studierendenhauses die Möglichkeiten, sich dort aufzuhalten, zu verringern, keinen Gebrauch gemacht. Letztlich hat das beigeladene Land auch die Möglichkeiten, die sich durch eine Beschränkung der Zahl von "Großen Veranstaltungen" ergeben könnten, nicht genutzt. Die TA Lärm enthält unter Nr. 7.2 Bestimmungen für seltene Ereignisse (die allerdings auf zehn Tage oder Nächte beschränkt sind) und legt unter Nr. 6.3 auch höhere Immissionsrichtwerte für seltene Ereignisse fest.
Da die Auswirkungen der Nutzung des Gebäudes nachts für die Kammer ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens aber nicht genau abschätzbar sind, kann die Baugenehmigung in der Fassung des 1. Nachtrags zur Baugenehmigung dennoch nicht als offensichtlich rechtswidrig eingeschätzt werden. Es ist daher eine Abwägung der beteiligten Interessen vorzunehmen. Diese führt bei den Anträgen der Antragsteller zu 2 und 3, zu 14 und 15 und zu 22 als den Eigentümern der dem Vorhaben des beigeladenen Landes nächstgelegenen Grundstücken dazu, dass ihre Interessen an der Nichtausnutzung der Baugenehmigung nachts die Interessen des beigeladenen Landes an der Nutzung des Gebäudes überwiegen. Auch wenn die Auswirkungen der Nutzung des Gebäudes nachts für die Kammer ohne die Einholung eines Schallgutachtens nicht genau abschätzbar sind, spricht aus den dargelegten Gründe doch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einem Betrieb des Studierendenhauses nachts die Bewohner der Grundstücke der Antragsteller zu 2 und 3, zu 14 und 15 sowie zu 22 einem nach dem Immissionsrichtwert der TA Lärm nicht zulässigen Lärm ausgesetzt sind. Die Kammer hat daher insoweit die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller zu 2 und 3, zu 14 und 15 sowie zu 22 gegen die Baugenehmigung in der Fassung der 1. Nachtragsgenehmigung zur Baugenehmigung angeordnet. Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der übrigen Antragsteller ist nicht anzuordnen, da die Grundstückte dieser Antragsteller weiter von dem Studierendenhaus entfernt liegen und deshalb auch nachts nicht davon auszugehen ist, dass diese Antragsteller durch den Betrieb des Studierendenhauses nachts unzulässigem Lärm ausgesetzt sein werden.
Aus nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts können die Antragsteller kein nachbarliches Abwehrrecht ableiten. Ein Verstoß der Baugenehmigung in der Fassung des 1. Nachtrags zur Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts ist nicht ersichtlich. Dies gilt auch insoweit, als die Antragsteller vorgetragen haben, dass auf dem Campus AO-Stadt in der letzten Zeit mehrfach durch den AStA Feste organisiert worden sind, die durch die Überschreitung von einschlägigen Immissionsrichtwerten zu erheblichen Lärmbelästigungen geführt hätten. Es sei daher davon auszugehen, dass dem AStA die notwendige Zuverlässigkeit fehle, um das Studierendenhaus mit dem Caf? KOZ, dem Partykeller und den Sälen zu betreiben. Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung zu begründen. Eine Unzuverlässigkeit des Bauherrn führt nicht dazu, dass ein Bauantrag abzulehnen wäre. Anders als im Gewerberecht ist bei der Prüfung eines Bauantrags die Zuverlässigkeit des vorgesehenen Betreibers nicht zu prüfen. Die Baugenehmigung ist vielmehr zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 64 Abs. 1 HBO 2002).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Soweit die Antragsteller Miteigentümer eines Grundstücks sind, konnten ihnen gemäß § 159 Satz 2 VwGO Kosten als Gesamtschuldner auferlegt werden, weil ihnen gegenüber das streitige Rechtsverhältnis nur einheitlich entschieden werden konnte. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, nach dem für eine Klage eines drittbetroffenen Nachbarn ein Wert von 7 500 bis 15 000 Euro vorgeschlagen wird. Da sich die Anträge gegen die Errichtung und die Nutzung eines Studierendenhauses, das von bis 1 700 Menschen genutzt werden kann, richtet, setzt das Gericht für eine entsprechende Klage pro "angreifenden" Grundstück ein Wert von 15 000 Euro an. Wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren ist dieser Wert zu halbieren, somit ein Streitwert in Höhe von insgesamt 90 000 Euro (12 x 7 500 Euro) festzusetzen.