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VG Gelsenkirchen, Urteil vom 07.02.2017 - 14 K 3317/14

1. Da es sich bei der Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung durch Verkehrszeichen um eine Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 VwVfG handelt, ist eine Anhörung der von dieser Regelung Betroffenen nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG entbehrlich.

2. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 und 9 StVO gelten auch für die Herabsetzung einer bereits durch Verkehrszeichen eingerichteten Geschwindigkeitsbeschränkung.

3. Allein die Tatsache, dass abstrakt sowohl die Zahl der Unfälle, als auch die Folgen von Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h geringer sind als bei 50 km/h, ist nicht dazu geeignet eine konkrete, über das allgemeine Straßenverkehrsrisiko hinausgehende Gefahrensituation anzunehmen, welche den Maßstab des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO erfüllt.

Tenor

Die Änderung der Geschwindigkeitsbeschränkung in der X.----straße in E. durch Zeichen 274 von 50 km/h auf 30 km/h wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, wieder eine Beschränkung auf 50 km/h anzuordnen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der Kläger zu 1. ist Anlieger der X.----straße in E. , sein Grundstück wird über einen Stichweg von der X.----straße aus erschlossen. Die Kläger zu 2. und 3. wohnen in der von der X.----straße abzweigenden Kleine X.----straße .

Die Kläger wenden sich gegen die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h im gesamten Verlauf der X.----straße .

Die X.----straße verläuft außerhalb der geschlossenen Ortschaft von der S.----------straße im Südwesten in nordöstlicher Richtung, knickt kurz vor der A 43 nach Südosten ab und endet an der T. Straße. Sie ist ca. 3 km lang. Ein Gehweg ist nicht angelegt, die Fahrbahn hat eine Breite von ca. 5 m, wobei nach dem Vortrag der Beteiligten die Fahrbahn teilweise lediglich 4,5 m bzw. bis zu 6 m breit ist. Die Straße hat einen leicht kurvigen Verlauf durch landwirtschaftliche Nutzflächen und kleine Waldstücke. Es ist eine Streubebauung vorhanden, die zum Teil - wie das Grundstück des Klägers zu 1. - über Stichstraßen erschlossen wird, im Übrigen aber unmittelbar an die Fahrbahn angrenzt. An dem Knick vor der Autobahn befindet sich eine Gastwirtschaft.

Zwischen der S1.---------straße und der an der Gaststätte gelegenen Einmündung des M. Q.---wegs ist die Durchfahrt durch das Verkehrszeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) mit der Ausnahme "Anlieger und Radfahrer frei" gesperrt.

Am 24. April 2013 wandte sich ein Anwohner mit Bitte um die Durchführung eines Ortstermins per E-Mail an die Beklagte. Hintergrund der Anfrage sei die Verkehrssituation in der X.----straße . Diese werde von zahlreichen Autofahrern als Abkürzung zur Autobahn genutzt. Diese Fahrzeuge würden auch recht schnell fahren. Die Situation am Wohnhaus sei so, dass es dort keinen Bürgersteig gebe und die Situation deshalb teilweise recht gefährlich sei.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2013 wandte sich das Tiefbauamt der Beklagten an die Polizeidirektion Verkehr des Polizeipräsidiums E. . In diesem Schreiben wird die Verkehrssituationen folgendermaßen eingeschätzt: Es handele sich um eine Straße, die nicht dem Vorbehaltsnetz der Stadt E. zugeordnet sei. Sie präsentiere sich als eine Straße des Altbestandes. Baulich angelegte Gehwege seien nicht vorhanden. Das Verkehrsaufkommen werde in Bezug auf den motorisierten Verkehr als gering bis mäßig eingestuft. Die Straße werde vor allem an Wochenenden in hohem Maße von Fußgängern und Radfahrern genutzt, da sie zum Naherholungsgebiet Hohensyburg gehöre. Aus Sicht des Tiefbauamtes bestünden keine Bedenken, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h zu reduzieren. Es werde um Stellungnahme zur Beurteilung der Situation aus Sicht der Polizei nach der Verwaltungsvorschrift zu § 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO) gebeten.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2013 teilte das Polizeipräsidium E. mit, dass keine Bedenken gegen die Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bestünden. Eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf 30 km/h werde auch zum Schutz der Fußgänger und Radfahrer begrüßt.

Mit interner E-Mail vom 11. Oktober 2013 ordnete das Tiefbauamt der Beklagten intern eine Beschilderung mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h durch das Zeichen 274-53 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO an. Die Regelung betrifft nach einem beigefügten Lageplan den Bereich zwischen der S2. . und der Einmündung in die T. Straße. Zur Begründung wird die Einschätzung der Verkehrssituation aus der Anfrage an das Polizeipräsidium E. wiederholt. Wenngleich sich die Verkehrssituationen in der X.----straße seit Jahren unauffällig darstelle, werde eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h der Funktion der Straße und den örtlichen Gegebenheiten gerecht. Dieser Auffassung habe sich das Polizeipräsidium E. uneingeschränkt angeschlossen.

Mit E-Mail vom 31. Oktober 2013 erkundigte sich der Kläger zu 1. im Namen der Anwohner bei der Beklagten nach dem Grund der vorgenommenen Geschwindigkeitsreduzierung. Es handele sich bei der X.----straße um eine Anliegerstraße, die normalerweise nicht dem Durchgangsverkehr diene. Er fragte des Weiteren nach, warum mit den Anwohnern vorher nicht über die betreffende Maßnahme gesprochen worden sei. Die Anwohner seien gegen diese Geschwindigkeitsänderung auf ihrer Straße und verlangten, dass diese wieder rückgängig gemacht werde.

Die Beklagte teilte dem Kläger zu 1. per E-Mail vom 6. November 2013 mit, dass aufgrund eines Bürgerantrages die X.----straße unter Beteiligung des Polizeipräsidiums E. daraufhin überprüft worden sei, ob dort eine Geschwindigkeitsreduzierung sinnvoll sei. Nach eingehender Überprüfung der Sachlage sei man zum Ergebnis gekommen, dass eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwischen der T. - und S1.---------straße auf 30 km/h gerechtfertigt sei. Zur weiteren Begründung wiederholte der Beklagte die Begründung der internen Anordnung der Verkehrszeichen.

Nachdem es zwischenzeitlich zu einem weiteren Schriftwechsel zwischen dem Kläger zu 1. und der Beklagten kam, bestellte sich am 13. Dezember 2013 der Prozessbevollmächtigte für den Kläger zu 1. und wandte sich gegen die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit; diese verletze den Kläger in seinen Rechten.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu 1. beantragte in dessen Namen ausdrücklich, die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h in der X.----straße aufzuheben und die zuvor bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h wieder anzuordnen.

Der Kläger zu 1. sei, ebenso wie die anderen Anlieger, vor der Maßnahme nicht angehört worden. Der Kläger zu 1. sehe, ebenso wie die überwiegende Zahl der übrigen Anlieger der X.----straße , keinen hinreichenden Grund dafür, die seit vielen Jahren bestehende zulässige Höchstgeschwindigkeit weiter herabzusetzen und wende sich ausdrücklich gegen diese Herabsetzung. Die Geschwindigkeitsbegrenzung stelle eine unangemessene Behinderung des Verkehrs dar. Er gehe außerdem davon aus, dass die erforderlichen Verkehrsuntersuchungen vor Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht erfolgt seien. Zudem sei das Unfallgeschehen in der X.----straße unauffällig. Eine Änderung der örtlichen Verhältnisse habe in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Es bestehe auch für Fußgänger keine erhöhte Gefahr, zumal nennenswerter Fußgängerverkehr in der Straße gar nicht stattfinde. Bei der Straße handele sich um eine Anliegerstraße. Sie sei ausreichend ausgebaut und befestigt, um sie mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h befahren zu können, wie es viele Jahre lang zulässig gewesen sei. In den beiden Seitenstraßen der X.----straße , der J.-------straße und dem M. Q.---weg , betrage die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls im an die X.----straße angrenzenden Bereich weiterhin 50 km/h. Ein sachlicher Grund dafür, dass in der X.----straße nur langsamer gefahren werden dürfe als dort, sei nicht ersichtlich.

Die Geschwindigkeitsbegrenzung entspreche offenbar ausschließlich dem Wunsch einer erst vor kurzem neu in die X.----straße hinzugezogenen Familie. Die Voraussetzungen des § 45 StVO seien nicht gegeben. Insbesondere sei die erforderliche Gefahrenlage aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse nicht festzustellen.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 teilte der Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit, dass nach § 45 Abs. 1 StVO die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung von Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten können. Dabei sei es unerheblich, ob die Verwaltung auf Antrag oder von Amts wegen tätig werde. Eine Beteiligung der Anlieger sei laut StVO nicht vorgesehen. Sowohl Befürworter als auch Gegner der Geschwindigkeitsbegrenzung seien fernmündlich gebeten worden, aus deren Sicht Gründe für bzw. gegen die Reduzierung in schriftlicher Form darzulegen und der Beklagten zukommen zu lassen, um aufgrund dessen eine neue Überprüfung vorzunehmen. Eine Stellungnahme sei bislang von keiner der beiden Parteien erfolgt. Im Übrigen wiederholte er die Begründung der internen Anordnung zur Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Nach Feststellungen der Polizei kam es im Bereich der X.----straße zu keinen Geschwindigkeitsverstößen. Es seien aber Verstöße gegen das Durchfahrtsverbot geahndet worden.

In der Sitzung der Bezirksvertretung I1. am 28. Januar 2014 wurde die Verwaltung einstimmig aufgefordert zu prüfen, ob nicht sofort wieder Tempo 50 angeordnet werden könne, bis das Arbeitsergebnis zur Einführung von Tempo 30- Zonen im Stadtgebiet I. von der Fachverwaltung als grundsätzliche Empfehlung erstellt sei.

Per E-Mail vom 3. März 2014 teilte die zuständige Sachbearbeiterin dem Kläger zu 1. mit, dass sie die jeweiligen Argumente prüfen werde. Allerdings werde sie nicht, "wie von der Bezirksvertretung gefordert, erst auf Tempo 50 erhöhen und dann nach der Entscheidung ggfs. wieder auf Tempo 30 reduzieren, somit könnte man jede unserer Entscheidungen in Frage stellen."

Im Zeitraum vom 2. Juli bis zum 5. Juli 2014 wurde an zwei Querschnitten in der X.----straße eine automatisierte Verkehrszählung vorgenommen. Die Daten einer Zählstelle waren nicht verwertbar, an der Zählstelle östlich der Einmündung der Kleinen X.----straße wurden Wochentags rund 400 Fahrzeuge gezählt, ganz überwiegend Pkw. Nach dem Beginn der Sommerferien wurden am Sonntag nur noch 236 Fahrzeuge gezählt, davon 2 Kleinlieferwagen und 4 Fahrzeuge mit einer Länge von mehr als 6,4 m. Die gefahrenen Geschwindigkeiten wurden ebenfalls erfasst und lagen sämtlich unterhalb von 50 km/h.

Der Kläger zu 1. hat am 25. Juli 2014 Klage erhoben. Die Kläger zu 2. und 3. haben sich am 31. Oktober 2014 der Klage angeschlossen.

Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie das bisherige Vorbringen. Ergänzend führen sie aus, dass aufgrund der Durchfahrtsbeschränkung und des wenigen Verkehrs kein Grund dafür bestehe, die Anlieger zu reglementieren, zumal diese mit den örtlichen Verhältnissen in aller Regel bestens vertraut seien. Dem Schutz von Fußgängern und Radfahrern werde schon durch die Beschränkung des Durchgangsverkehrs hinreichend Rechnung getragen.

Die Behauptung, die Straße werde in hohem Maße - vor allem an Wochenenden - von Fußgängern und Radfahrern benutzt, sei unzutreffend. Fußgänger, die im X1. unterwegs seien, würden die X.----straße auf einem Spazierweg in Höhe der Einmündung Kleine X.----straße in der Regel lediglich einmal überqueren, nicht aber entlang der Straße marschieren. In der Straße befinde sich auch kein Wanderparkplatz. Ein solcher sei in nördlicher Richtung in der J1.-------straße vorhanden mit Zugang in den Wald, von dem aus man in das X2. gelangen könne. Der Verlauf der Straße sei auch nicht kurvig. Kurven seien zwar teilweise vorhanden, diese seien aber allesamt übersichtlich. Nur an zwei Stellen sei die Übersichtlichkeit etwas eingeschränkt. Die pauschale Behauptung der Beklagten, die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ergebe einen erheblichen Sicherheitsgewinn, sei unzutreffend.

Die Kläger beantragen,

die Änderung der Geschwindigkeitsbeschränkung in der X.----straße in E. durch Zeichen 274 von 50 km/h auf 30 km/h aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, wieder eine Beschränkung auf 50 km/h anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft die Beklagte die bisherige Begründung der Geschwindigkeitsbegrenzung. Ergänzend führt sie aus, die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit führe zu einem erheblichen Sicherheitsgewinn. Insbesondere seien an der strittigen Stelle keine Gehwege für Fußgänger vorhanden und die Straßenbreite betrage mitunter weniger als 4,5 m. Die Straße weise einen kurvigen und teilweise unübersichtlichen Verlauf auf.

Weiterhin sei berücksichtigt worden, dass die Straße im Verkehrsnetz der Stadt E. lediglich eine untergeordnete Bedeutung habe und überwiegend der Erschließungsfunktion der Anlieger diene. Das Verkehrsaufkommen für motorisierten Verkehr sei als gering zu bezeichnen. Im Verhältnis zu dem Sicherheitsgewinn durch die Herabsetzung des Tempos auf 30 km/h würden die Interessen der motorisierten Verkehrsteilnehmer nur geringfügig beeinträchtigt. Die Herabsetzung werde von der Polizei ausdrücklich begrüßt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Heft 1).

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet, denn die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 km/h verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Die Verpflichtung der Beklagten zur (Wieder-)Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h beruht auf dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch und konnte zusammen mit der Aufhebung der angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung zur Beseitigung der Vollzugsfolgen durch das Gericht ausgesprochen werden (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, denn bei den angebrachten Verkehrszeichen handelt es sich - anders als bei der lediglich internen und nicht auf Außenwirkung gerichteten Anordnung vom 11. Oktober 2013 - um Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG).

Die Kläger sind als Adressaten dieser Verkehrsregelung klagebefugt. Es ist bei Klagen gegen Verkehrsregelungen durch verkehrliche Anordnungen wie z.B. Verkehrszeichen allerdings eine spezielle, über das durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Recht auf Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr hinausgehende (grundrechtliche) Betroffenheit zu fordern. Ein Verkehrsteilnehmer kann als mögliche Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für die durch entsprechende Verkehrszeichen verlautbarte straßenverkehrsrechtliche Anordnung seien nicht (mehr) gegeben. Darüber hinaus kann er beanspruchen, dass seine Interessen bei der behördlichen Ermessensausübung ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung oder Beibehaltung einer Verkehrsbeschränkung sprechen. Abwägungserheblich sind dabei aber nur qualifizierte Interessen der Kläger, die über das Interesse jedes Verkehrsteilnehmers, in seiner Freiheit möglichst wenig beschränkt zu werden, hinausgehen.

Hiernach sind die Kläger klagebefugt, weil ihr Interesse als Anlieger der X.----straße an deren nicht über das notwendige Maß hinausgehend beschränkten Nutzung von der Beklagten zu berücksichtigen ist und sie geltend machen, diese Interessen seien nicht hinreichend beachtet worden.

Die Klage ist von allen Klägern auch fristgemäß erhoben worden. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Verkehrszeichen am 31. Oktober 2013, dem Tag, als der Kläger zu 1. sich erstmals an die Beklagte wandte, angebracht und damit im Sinne der §§ 30 Abs. 1 und 45 Abs. 4 StVO, die als spezialgesetzliche Regelungen insoweit den allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorgehen,

vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11. Dezember 1996 - 11 C 15/95 -, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 23. Mai 1995 - 5 A 2092/93 -, NWVBI1995, 475 und juris,

bekannt gemacht wurden. Da dieser Bekanntmachung keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt ist, ist die Anfechtungsklage innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zu erheben (vgl. § 74 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO). Diese Frist ist vorliegend nicht überschritten, so dass die Klage fristgerecht erhoben wurde.

Die zulässige Klage ist auch begründet.

In formeller Hinsicht ist die Anordnung allerdings nicht zu beanstanden. Insbesondere die unterbliebene Anhörung der Kläger führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung. Da es sich bei der Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung durch Verkehrszeichen um eine Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 VwVfG handelt, ist eine Anhörung der von dieser Regelung Betroffenen nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG entbehrlich.

Die Anordnung der Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 km/h ist jedoch rechtswidrig, weil die Voraussetzungen der für diese Anordnung von der Beklagten zutreffend herangezogenen Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 StVO in Verbindung mit § 45 Abs. 9 StVO nicht vorlagen. Der maßgebliche Zeitpunkt für die materiellrechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Dauerverwaltungsakten - wie dem vorliegenden - der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 37.09 -, juris.

Es ist daher für die rechtliche Bewertung die Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 16. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2938) geändert worden und am 23. Dezember 2016 in Kraft getreten ist, heranzuziehen. Die hier maßgeblichen Regelungen haben sich seit der Entscheidung der Beklagten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit herabzusetzen, jedoch inhaltlich nicht erheblich verändert.

Nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken. Nach Absatz 9 dieser Bestimmung, welche auf Grund ihrer spezielleren Regelung die allgemeinere Bestimmung des § 39 Abs. 1 StVO verdrängt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 3 C 37.09 -, juris.; OVG NRW, Beschluss vom 15. November 2011 - 8 A 2066/11 -, juris,

sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn wegen der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen der Bestimmung genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Besondere örtliche Verhältnisse i.S.v. § 45 Abs. 9 S. 3 StVO können bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen, der Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. Eine besondere Verkehrsbelastung kann auch für sich allein Gefahren begründen, die Verkehrsbeschränkungen und -verbote nach § 45 Abs. 9 S. 2 StVO rechtfertigen. Auch vor dem Hintergrund, dass Schutzgut der Norm bedeutende Rechtsgüter sind, ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vermehrter Schadensfälle nicht erforderlich. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO setzt nur - aber immerhin - eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht. Für die Annahme einer derartigen konkreten Gefahrenlage steht der zuständigen Straßenverkehrsbehörde eine sogenannte Einschätzungsprärogative zu.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 23.September 2010 - 3 C 37.09 - und vom 5. April 2001 - 3 C 23.00 -, beide juris.

Diese Voraussetzungen gelten auch für die Herabsetzung einer bereits durch Verkehrszeichen eingerichteten Geschwindigkeitsbeschränkung, die für sich genommen ja bereits eine Beschränkung der allgemeinen Verkehrsregeln darstellt. Das folgt daraus, dass eine weitere Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit wiederum eine zusätzliche Beschränkung des fließenden Verkehrs darstellt.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche zusätzliche Beschränkung des fließenden Verkehrs lässt sich vorliegend jedoch nicht feststellen.

Die Entscheidung entbehrte nach dem vorgelegten Verwaltungsvorgang sowohl im Zeitpunkt der Anordnung als auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedweder (dokumentierten) sachlichen Grundlage. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass sie allein auf dem Antrag des Anwohners und einem Ortstermin des Mitarbeiters des Tiefbauamtes beruht. Ermittlungen der Beklagten zur Nutzung der Straße, zu Verkehrsverstößen und Unfallzahlen erfolgten erst nach Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung. Auch die dabei gewonnen Erkenntnisse lassen nicht erkennen, dass die weitere Beschränkung der Geschwindigkeit von 50 auf 30 km/h zum Schutz bedeutender Rechtsgüter aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse zwingend erforderlich ist. Insbesondere die von der Beklagten herangezogene Nutzung der Straße durch Spaziergänger und Radfahrer ist nicht belegt. Allein der Umstand, dass die X.----straße , wie sich aus der Beschilderung an der Einmündung S1.---------straße ergibt, Teil des Radwegenetzes NRW ist, lässt nicht darauf schließen, dass Radfahrer bei der Nutzung der Straße in besonderer Weise Gefahren ausgesetzt wären, welche eine weitere Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit rechtfertigen würden. Es kann deshalb vorliegend offen gelassen werden, ob der von der Beklagten angenommenen Gefährdung der Spaziergänger und Radfahrer nur durch eine uneingeschränkte Geschwindigkeitsbegrenzung zu begegnen wäre, oder ob eventuell eine zeitlich - etwa auf das Wochenende - begrenzte Regelung ausreichen würde.

Nach den Ermittlungen der Beklagten ist die Verkehrsbelastung durch Kraftfahrzeuge mit 400 Fahrzeugen am Tag gering, Geschwindigkeitsübertretungen konnten auch von der Polizei nicht in erheblichem Umfang festgestellt werden. Selbst das Tiefbauamt der Beklagten geht in internen Stellungnahmen davon aus, dass die X.----straße aus verkehrlicher Sicht "unauffällig" sei, so dass sich auch keine besondere Gefährlichkeit aufgrund einer Unfallhäufung feststellen lässt.

Allein die Tatsache, dass abstrakt sowohl die Zahl der Unfälle, als auch die Folgen von Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h geringer sind als bei 50 km/h, ist nicht dazu geeignet, für die hier in Rede stehende gesamte Länge der X.----straße eine konkrete, über das allgemeine Straßenverkehrsrisiko hinausgehende besondere Gefahrensituation anzunehmen, welche den oben dargestellten Maßstab des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO erfüllt.

Die streitgegenständliche Verkehrsregelung unterfällt auch keiner der seit Dezember 2016 gültigen Ausnahmen in § 45 Abs. 9 Satz 4 oder Satz 5 sowie Absatz 10 StVO.

Die Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung stellt sich daher als rechtswidrig dar.

Die rechtswidrige Entscheidung der Beklagten verletzt die Kläger auch in ihren Rechten, insbesondere dem aus Art. 2 GG folgenden Anspruch darauf, dass ihr Interesse als Anlieger an der nicht über das notwendige Maß hinausgehend beschränkten Nutzung der X.----straße von der Beklagten berücksichtigt wird.

Den Klägern steht insoweit auch ein Folgenbeseitigungsanspruch auf Entfernung der Verkehrsschilder zu, weil sie durch die fortdauernde Existenz der Verkehrszeichen daran gehindert werden, die Straße wie bisher zu nutzen. Da die Kläger mit der Klage nicht die vollständige Beseitigung der Geschwindigkeitsbeschränkung verfolgten, sondern lediglich die Herabsetzung auf 30 km/h angefochten haben, erschöpft sich der Folgenbeseitigungsanspruch nicht in der Entfernung der Schilder. Damit die Entscheidung des Gerichts nicht über das Klagebegehren hinausgeht (§ 88 VwGO) war im Rahmen der Folgenbeseitigung die Beklagte dazu zu verpflichten, die ursprüngliche Geschwindigkeitsbeschränkung wieder anzuordnen und entsprechend auszuschildern, da anderenfalls die allgemeinen Regeln des § 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO gelten würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Lukas Jozefaciuk