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VG Hamburg, Beschluss vom 04.12.2019 - 15 E 4685/19

1. Ist ein Unternehmen seinen finanziellen Verpflichtungen in der Vergangenheit nicht vollständig und rechtzeitig nachgekommen, so ist davon auszugehen, dass es zukünftig nicht über eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit verfügen wird, falls nicht ausnahmsweise erkennbar ist, dass die Zahlungsrückstände entweder nur über einen unwesentlichen Zeitraum bestehen werden oder hinsichtlich ihres Umfangs unter Berücksichtigung von Geschäftsvolumen und Ertragslage unerheblich sind.

2. Einen Ansatzpunkt für die Bestimmung des zu berücksichtigenden Zeitraums kann die für die rechtzeitige Insolvenzantragstellung geltende Dreiwochenfrist bilden.

3. Anhaltspunkte für die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens bieten der von ihm erzielte Gewinn als Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen sowie die bestehenden Vermögenswerte, die gegebenenfalls liquidiert und zur Tilgung fälliger Forderungen herangezogen werden können.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens nach einem Streitwert von 30.000 Euro.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der ihr erteilten Güterkraftverkehrslizenz.

Die im Jahr 2012 von Frau B als Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin gegründete Antragstellerin betreibt ein Transportunternehmen. Im Jahr 2013 erteilte die Antragsgegnerin ihr eine Lizenz für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterkraftverkehr, zunächst befristet auf zwei Jahre. Im Jahr 2015 wurde die Lizenz erneut, diesmal für die Dauer von zehn Jahren, erteilt. Der Antragstellerin wurden sukzessive insgesamt 24 beglaubigte Kopien erteilt.

Im August 2017 informierte die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Kommunikation (BG Verkehr) die Antragsgegnerin darüber, dass die Antragstellerin mit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 29.460,85 Euro in Verzug sei, und regte die Einleitung eines Gewerbeuntersagungsverfahrens an. Die Antragsgegnerin holte daraufhin Auskünfte verschiedener Stellen ein. Der Auszug aus dem Fahreignungsregister und das Führungszeugnis für die Geschäftsführerin enthielten keine Eintragungen. Der für sie eingeholte Gewerberegisterauszug enthielt mit Stand vom 1. September 2017 insgesamt zehn Eintragungen. Diese betrafen Verstöße gegen Regelungen der Fahrpersonalverordnung und des Güterkraftverkehrsgesetzes im Zeitraum von August 2012 bis Februar 2017, wobei Geldbußen in Höhe von insgesamt 4.510 Euro verhängt wurden. Der für die Antragstellerin eingeholte Gewerberegisterauszug enthielt insgesamt elf Eintragungen für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Januar 2017. Wegen Verstößen gegen das Fahrpersonalgesetz und die Fahrpersonalverordnung wurden Geldbußen in Höhe von insgesamt 4.953,75 Euro verhängt.

Im September 2017 teilte das Finanzamt Hamburg-X mit, dass die Antragstellerin Steuern in Höhe von 48.349,26 Euro schulde. In den letzten zwölf Monaten seien Zahlungen überwiegend verspätet erbracht und Steuererklärungen überwiegend verspätet abgegeben worden. Die Handelskammer Hamburg teilte mit, dass Rückstände in Höhe von 1.609,84 Euro bestünden. Die Y Krankenkasse teilte das Bestehen von Forderungen in Höhe von 22.162,28 Euro mit. Das Bundesamt für Güterverkehr teilte mit, dass keine offenen Forderungen gegenüber der Antragstellerin bestünden, auch lägen keine negativen Erkenntnisse über die persönliche Zuverlässigkeit vor. Die Antragsgegnerin gab der Antragstellerin im Hinblick auf einen möglichen Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz Gelegenheit zur Stellungnahme. Diese erklärte Anfang Oktober 2017, sie habe in den letzten zwei Jahren mehrere Lkw angeschafft und danach mehrere Aufträge verloren, weshalb sich manche Zahlungen „nach hinten verschoben“ hätten. Sie benötige zum Ausgleich der Schulden etwa sechs bis acht Monate und bitte um entsprechenden Aufschub, um ihre Firma wieder „auf Kurs“ zu bringen. Die Antragsgegnerin ließ das Widerrufsverfahren daraufhin ruhen.

Im Februar 2018 reichte die Antragstellerin auf Aufforderung der Antragsgegnerin hin eine Bescheinigung der BG Verkehr ein, aus der sich ein Beitragsrückstand in Höhe von 24.460,85 Euro ergab. Die Antragsgegnerin nahm daraufhin das Widerrufsverfahren wieder auf und holte erneut eine Gewerbezentralregisterauskunft für die Geschäftsführerin der Antragstellerin ein, diese enthielt keine neuen Eintragungen. Mit Schreiben vom 3. April 2018 regte das Finanzamt Hamburg-X eine umfassende Gewerbeuntersagung für die Antragstellerin an und bat um Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die Antragstellerin schulde Betriebs- und Personensteuern in Höhe von insgesamt 42.077,38 Euro, Vollstreckungsversuche seien im Wesentlichen erfolglos verlaufen. Die Y Krankenkasse teilte mit, dass für die Zeit von Oktober 2017 bis März 2018 insgesamt 50.844,29 Euro an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Nebenforderungen ausstünden, Vollstreckungsmaßnahmen würden andauern. Die Antragsgegnerin informierte keine weiteren Stellen über den geplanten Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz, sie hörte die Antragstellerin nicht noch einmal an.

Mit Bescheid vom 7. Mai 2018 entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Lizenz für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterkraftverkehr mit 24 beglaubigten Kopien. Zur Begründung verwies sie auf die mitgeteilten Forderungsrückstände und die Eintragungen im Gewerbezentralregisterauszug die Geschäftsführerin betreffend. Aufgrund der mangelnden Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen, die zu einer Schädigung der Allgemeinheit führe, seien die finanzielle Leistungsfähigkeit und die persönliche Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben. An letzterer fehle es auch aufgrund der Eintragungen im Gewerbezentralregister.

Die nunmehr anwaltlich vertretene Antragstellerin legte hiergegen am 6. Juni 2018 Widerspruch ein. Wesentliche Teile der ausstehenden Forderungen seien zwischenzeitlich beglichen worden, man werde hierzu noch detailliert vortragen. Eine weitere Stellungnahme erfolgte nicht.

Unter dem 28. September 2018 bat die Antragsgegnerin das Finanzamt Hamburg-X, die Y Krankenkasse, die BG Verkehr und die Handelskammer Hamburg um Mitteilung, ob und in welcher Höhe derzeit Forderungen gegen die Antragstellerin bestünden. Die Y Krankenkasse teilte mit, dass für die Zeit von Juli bis September 2018 insgesamt 31.480,41 Euro an Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Nebenforderungen ausstünden. Nach Mitteilung des Finanzamtes Hamburg-X bestanden dort Rückstände in Höhe von 38.738,02 Euro. Die BG Verkehr teilte einen Beitragsrückstand in Höhe von 51.117,40 Euro mit. Die von ihr angeordnete Zwangsvollstreckung sei vom Hauptzollamt Hamburg am 16. Juli 2018 beendet worden, da bereits am 17. November 2016 eine fruchtlose Pfändung bei der Antragstellerin durchgeführt worden sei.

Mit Schreiben vom 28. September 2018 teilte die Antragsgegnerin dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass der Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg habe. Sie begründete dies mit den bestehenden finanziellen Rückständen und den Eintragungen im Gewerbezentralregister und gab erneut Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragstellerin teilte daraufhin mit, sie habe zwischenzeitlich Steuern in Höhe von 103.466,47 Euro gezahlt, sodass mit Stand vom 10. Oktober 2018 nur noch 19.010,31 Euro offen gewesen seien. Zudem seien an die Y Krankenkasse 42.473,44 Euro gezahlt worden, dort seien nunmehr nur noch 13.659,80 Euro offen. Beide Rückstände sollten bis zum 25. Oktober 2018 ausgeglichen werden. Auch bei der BG Verkehr habe die Antragstellerin erhebliche Rückzahlungen getätigt, ihr sei allerdings bis heute keine Saldenmitteilung zugegangen. Die Bußgeldverfahren datierten aus den Jahren 2016 und 2017. Wegen einer technischen Aufrüstung der Fahrzeiterfassung seien weitere Dokumentationsverstöße nicht mehr zu erwarten. Eine Entziehung der Erlaubnis stelle eine nicht gerechtfertigte und zutreffende Härte dar.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2018 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Die Antragstellerin erfülle die Anforderungen der Zuverlässigkeit und der angemessenen finanziellen Leistungsfähigkeit nicht mehr und werde dies auch in absehbarer Zeit nicht tun. Dies ergebe sich aus den erheblichen Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und den gegen sie ergangenen Bußgeldbescheiden. Der Entzug der Gemeinschaftslizenz sei auch nicht unverhältnismäßig, dies sei nach der Rechtsprechung nicht einmal dann der Fall, wenn der Betroffene sozialhilfebedürftig zu werden drohe. Auch bestünde für die Mitarbeiter der Antragstellerin nicht die Gefahr der Arbeitslosigkeit, weil Berufskraftfahrer derzeit sehr gesucht seien.

Zu diesem Zeitpunkt besaß die Antragstellerin 24 beglaubigte Kopien der Güterkraftverkehrslizenz. Auf sie waren 28 Fahrzeuge zugelassen, neben einem Porsche Cayenne und einem Ford Fiesta handelte es sich dabei um 26 Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht zwischen 3,5 und 12 Tonnen. Ausweislich der Betriebswirtschaftlichen Abrechnungen für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 erzielte die Antragstellerin in diesem Zeitraum folgende Umsatzerlöse bzw. (kumulierte) vorläufige Ergebnisse:

Monat UmsatzerlösVorläufiges ErgebnisJahresweise kumuliertesvorläufiges ErgebnisJanuar 2017162.839,28 €- 9.867,39 €- 9.867,39 €Februar 2017186.374,53 €1.086,88 €- 8.780,51 €März 2017184.363,88 €- 25.345,17 €- 34.125,68 €April 2017181.765,42 €- 31.802,83 €- 65.928,51 €Mai 2017228.956,64 €20.044,61 €- 45.883,90 €Juni 2017206.102,45 €- 4.967,47 €- 50.851,37 €Juli 2017190.779,15 €- 10.635,92 €- 61.487,29 €August 2017178.936,78 €- 2.015,65 €- 63.502,94 €September 2017175.688,03 €- 27.183,85 €- 90.686,79 €Oktober 2017159.230,99 €- 28.682,85 €- 119.369,64 €November 2017199.176,29 €2.791,26 €- 116.578,38 €Dezember 2017_189.483,89 €_53.158,45 €_- 63.419,93 €Januar 2018202.738,56 €- 5.541,32 €- 5.541,32 €Februar 2018111.396,82 €- 27.956,17 €- 33.497,49 €März 2018183.936,39 €- 1.656,52 €- 35.154,01 €April 2018179.152,90 €24.543,26 €- 10.610,75 €Mai 2018159.247,71 €- 41.878,31 €- 52.489,06 €Juni 2018150.235,56 €- 26.533,11 €- 79.022,17 €Juli 2018151.755,74 €- 4.125,21 €- 83.147,38 €August 2018162.769,09 €5.340,33 €- 77.807,05 €September 2018146.549,88 €- 26.162,62 €- 103.969,67 €Oktober 2018126.711,11 €- 28.222,92 €- 132.192,59 €November 2018166.458,88 €30.004,06 €- 102.188,53 €Dezember 2018181.049,03 €33.239,20 €-68.949,33 €In der Zeit vom September 2016 bis August 2018 erließ das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg gegen die Antragstellerin zehn unanfechtbare Bußgeldbescheide wegen vorsätzlicher Schädigung des Umsatzsteueraufkommens und verhängte Geldbußen in Höhe von insgesamt 17.235 Euro.

Am 26. November 2018 erhob die Antragstellerin Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg (15 K 6053/18) mit dem Antrag, die Entziehung der Güterkraftverkehrslizenz aufzuheben. Zur Begründung verwies sie auf zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen an das Finanzamt Hamburg-X in Höhe von 20.000 Euro, weshalb die aktuelle Steuerschuld nur noch 6.530,35 Euro betrage. Die Rückstände bei der BG Verkehr hätten sich durch neue Festsetzungsbescheide reduziert, bei der Y Krankenkasse seien nur noch für den Zeitraum Juli bis September 2018 Beiträge offen. Weil im Jahr 2018 keine Bußgeldbescheide hinzugekommen seien, sei die Prognoseentscheidung fehlerhaft begründet worden, zudem hänge das Ergehen eines Bußgeldbescheides sehr häufig von dem Verhalten des jeweiligen Fahrers ab. Aufgrund des Weihnachtsgeschäfts sei das letzte Quartal eines Jahres in der Regel am umsatzstärksten, aus diesen Erlösen wolle die Antragstellerin die ausstehenden Zahlungen erbringen. Zudem sei für die Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragte Klageabweisung und verwies zur Begründung vor allem darauf, dass die letzte Behördenentscheidung den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bilde, sodass es auf nachträgliche Zahlungen nicht ankomme. Mit weiterem Schriftsatz teilte sie mit, dass die Antragstellerin nunmehr (Stand Februar 2019) Zahlungsrückstände in Höhe von 19.164,82 Euro gegenüber dem Finanzamt Hamburg-X, in Höhe von 45.584,89 Euro gegenüber der BG Verkehr und in Höhe von 15.089,01 Euro gegenüber der Y Krankenkasse habe. Zudem seien gegenüber der Antragstellerin zwischenzeitlich 15 weitere Bußgeldbescheide ergangen, der letzte stamme vom 24. September 2018. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2019 teilte die Antragsgegnerin mit, dass die Gesamtforderung der BG Verkehr nunmehr 83.085,13 Euro betrage.

Mit Schreiben vom 17. September 2019 teilte das Finanzamt Hamburg-X der Antragsgegnerin mit, dass die Schulden der Antragstellerin auf 152.834,60 Euro angewachsen seien. Seit Januar 2019 seien auch keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr abgegeben worden. Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin über die ihr bekannten Zahlungsrückstände und räumte ihr eine sechstägige Frist zur Stellungnahme ein, welche die Antragstellerin nicht nutzte. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2019 ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 7. Mai 2018 an, mit der sie der Antragstellerin die Güterkraftverkehrslizenz entzogen hatte. Zur Begründung führte sie an, der Betrieb der Antragstellerin sei inzwischen zu einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ geworden. Die Antragstellerin schädige die Allgemeinheit schon seit Jahren, indem sie Steuern und Versicherungsbeiträge nicht oder stark verspätet zahle. Seit Anfang 2019 seien die Steuerschulden „geradezu explosionsartig“ auf nunmehr über 152.000 Euro angewachsen. Nach der Rechtsprechung genügten schon wesentlich niedrigere Beitragsrückstände zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses am Sofortvollzug des Widerrufs einer Gemeinschaftslizenz für den Güterkraftverkehr. Zudem stelle ein finanzschwaches Güterkraftverkehrsunternehmen ein erhebliches Risiko für die Allgemeinheit der Verkehrsteilnehmer dar, weil das Fehlen von Geldmitteln dazu führen könne, dass Kfz-Versicherungsprämien nicht gezahlt oder notwendige Fahrzeugreparaturen hinausgeschoben oder unterlassen würden. Außerdem sei die Ordnung des Güterkraftverkehrsmarktes zu verteidigen. Die Antragstellerin verschaffe sich durch die Nichtzahlung von Steuern und Abgaben einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil gegenüber sich ordnungsgemäß verhaltenen Konkurrenten.

Mit Antrag vom 2. Oktober 2019 hat die Antragstellerin das Gericht um vorläufigen Rechtsschutz ersucht. Sie trägt vor, die Antragsgegnerin habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ordnungsgemäß begründet. Das besondere öffentliche Interesse hieran sei nicht hinreichend dargelegt worden, weil bei einer nachträglichen Anordnung der sofortigen Vollziehung insofern erhöhte Anforderungen gelten würden. Zudem führe die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht dazu, dass die Erbringung der ausstehenden Zahlungen wahrscheinlicher werde, weil die Konten der Antragstellerin ohnehin bereits „durch Pfändungsmaßnahmen blockiert“ seien. Vielmehr drohe die Beendigung der Geschäftstätigkeit der Antragstellerin und damit letztlich ihre Insolvenz. Führe eine sofortige Vollziehung zu derart irreparablen Folgen, seien an deren Anordnung besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil damit auch eine Beeinträchtigung in den Grundrechten aus Art. 12, 14 GG einhergehe.

Bei unbeeinträchtigter Fortführung des Geschäftsbetriebes sei dagegen kein weiteres Anwachsen der Steuerschulden zu erwarten, vielmehr habe die Antragstellerin diese zwischenzeitlich auf 6.530,35 Euro reduziert. Dies hätte die Antragsgegnerin im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens berücksichtigen müssen. Der sprunghafte Anstieg der Steuerschulden sei allein auf eine festgesetzte Umsatzsteuernachzahlung für das Jahr 2017 in Höhe von 84.922,74 Euro zurückzuführen. Auf diese Schuld habe die Antragstellerin inzwischen 30.000 Euro gezahlt. Insgesamt sei die Antragstellerin gewillt und in der Lage, sämtliche Außenstände voraussichtlich innerhalb der nächsten vier bis fünf Monate zu begleichen.

Die Entziehungsentscheidung sei rechtswidrig. Die Antragsgegnerin habe den Schuldenstand nicht zutreffend ermittelt und die Reduzierung der Schulden ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage (15 K 6053/18) und des Widerspruchs vom 6. Juni 2018 gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2018 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie nimmt auf die Gründe der Sofortvollziehungsanordnung Bezug und trägt ergänzend vor, diese diene nicht dazu, die Vollstreckungsmöglichkeiten der institutionellen Gläubiger zu verbessern, sondern solle vielmehr dafür sorgen, dass die Schulden der Antragstellerin nicht weiter anwüchsen. Tilgungszusagen habe die Antragstellerin auch in der Vergangenheit bereits gemacht, ohne diese dann tatsächlich einzuhalten.

Zudem seien seit Einholung des letzten Gewerberegisterauszugs die Antragstellerin betreffend 15 Eintragungen im Zeitraum von Juli 2017 bis September 2018 hinzugekommen. Wegen Verstößen gegen Vorschriften das Fahrpersonalgesetz und die Fahrpersonalverordnung seien Geldbußen in Höhe von insgesamt 35.975 Euro verhängt worden.

Mit Beschluss vom 14. Oktober 2019 hat das Gericht im Wege der Zwischenverfügung die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin für die Dauer des erstinstanzlichen gerichtlichen Eilverfahrens wiederhergestellt.

Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2019 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sich der Schuldenstand der Antragstellerin nunmehr auf 178.197,82 Euro (Finanzamt Hamburg-X), 30.785,17 Euro (Y Krankenkasse) und 83.085,13 Euro (BG Verkehr) belaufe. Die Verbindlichkeiten der Antragstellerin würden entgegen ihrer Zusagen nicht reduziert werden, sondern anwachsen.

Auf die Antragstellerin sind derzeit 27 Lkw angemeldet. Ausweislich der Betriebswirtschaftlichen Abrechnungen für das 3. Quartal 2019 erzielte die Antragstellerin in diesem Zeitraum folgende Umsatzerlöse bzw. (kumulierte) vorläufige Ergebnisse:

Monat UmsatzerlösVorläufiges ErgebnisJahresweise kumuliertesvorläufiges ErgebnisJuli 2019141.008,41 €2.832,91 €52.182,36 €August 2019159.498,28 €- 67.166,13 €- 14.983,77 €September 2019175.563,06 €17.976,67 €2.992,90 €Dem Gericht lag die Sachakte der Antragsgegnerin sowie die Vollstreckungsakte des Finanzamtes Hamburg-X vor.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage ist statthaft, weil die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. Oktober 2019 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Güterkraftverkehrslizenz angeordnet hat.

Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die sofortige Vollziehung formell ordnungsgemäß angeordnet wurde (unten 1.) und das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollziehungsinteresse nicht überwiegt (unten 2.).

1. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Güterkraftverkehrslizenz in einer den formalen Anforderungen genügenden Weise begründet. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO muss sich aus der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergeben, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht und das Interesse des Betroffenen an der bestehenden aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (BVerwG, Beschluss vom 18.9.2001, 1 DB 26/01, juris Rn. 6; VG Hamburg, Beschluss vom 20.6.2018, 15 E 1483/18, juris Rn. 14 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15.7.2019, 3 M 123/19, juris Rn. 4 f., VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.6. 2019, 5 S 548/18, juris Rn. 8 f.). Hierdurch soll einerseits der Behörde der Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen geführt werden (BVerwG a.a.O., juris Rn. 6), andererseits wird der Betroffene über die Gründe unterrichtet, die für die behördliche Entscheidung maßgebend gewesen sind, und kann hierauf aufbauend entscheiden, ob er gerichtlichen Eilrechtsschutz beantragen möchte. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob die sofortige Vollziehung zusammen mit der Grundverfügung oder erst nachträglich angeordnet wird. Insbesondere unterliegt eine nachträgliche Vollziehungsanordnung keinen erhöhten Anforderungen im Hinblick auf das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Die Sofortvollziehungsanordnung genügt diesen Anforderungen. Die Antragsgegnerin legt dar, dass der Betrieb der Antragstellerin zu einer Gefahr für die Allgemeinheit geworden sei, weil seit Anfang 2019 die Steuerschulden der Antragstellerin „geradezu explosionsartig“ auf zum Anordnungszeitpunkt über 152.000 Euro angewachsen seien. Die hieraus von der Antragsgegnerin abgeleitete Gefährdung der Belange des Fiskus durch die fortgesetzte Nichtzahlung öffentlicher Abgaben auch während des Hauptsacheverfahrens ist ebenso einzelfallbezogen und konkret wie die in Bezug genommene Gefährdung des Straßenverkehrs durch ein finanzschwaches Unternehmen, bei dem zu befürchten ist, dass Versicherungsprämien nicht gezahlt oder Fahrzeugreparaturen nicht durchgeführt werden.

2. Des Weiteren ergibt die Abwägung des Interesses der Antragstellerin, vorläufig weiter gewerblichen Güterkraftverkehr betreiben zu dürfen, mit dem widerstreitenden öffentlichen Interesse, die geschäftsmäßige Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen zu unterbinden, dass dem öffentlichen Interesse hier der Vorrang einzuräumen ist. Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand dürfte die Klage der Antragstellerin keinen Erfolg haben, weil sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig erweisen wird (unten a)). Darüber hinaus besteht ein besonderes, nicht durch Interessen der Antragstellerin aufgewogenes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung (unten b)).

a) Der Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz nebst 24 beglaubigten Kopien wird voraussichtlich nicht zu beanstanden sein. Trotz der formellen Rechtswidrigkeit wird eine Aufhebung des Bescheides im Hinblick auf § 46 HmbVwVfG nicht in Betracht kommen (unten (1)), weil der Lizenzentzug materiell rechtmäßig gewesen sein dürfte (unten (2)).

Die Rechtsgrundlage für den Widerruf einer Güterkraftverkehrslizenz bilden § 3 Abs. 5 Satz 2, § 5 Güterkraftverkehrsgesetz (im Folgenden: GüKG) i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (ABl. Nr. L 300, S. 72, im Folgenden: GüterkraftverkehrsVO 1072/2009) sowie Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der Richtlinie 96/26/EG des Rates (Abl. Nr. L 300, S. 51, im Folgenden: KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009). Die der Antragstellerin am 10. April 2015 erteilte Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr nach Art. 4 GüterkraftverkehrsVO 1072/2009 gilt gemäß § 5 GüKG als Erlaubnis nach § 3 GüKG, weil die Antragstellerin ihren Sitz im Inland, nämlich in Hamburg hat.

(1) Zwar dürften die formellen Voraussetzungen für den Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz nicht erfüllt gewesen sein, weil die Antragsgegnerin nicht alle erforderlichen Anhörungen durchgeführt hat. Diese Verletzung von Verfahrensvorschriften dürfte die Entscheidung in der Sache aber nicht beeinflusst haben, weshalb eine Aufhebung des Bescheides ausscheidet, § 46 HmbVwVfG.

Gemäß § 3 Abs. 5a Satz 1 GüKG i.V.m. § 5 GüKG setzt der Widerruf einer Güterkraftverkehrslizenz voraus, dass rechtzeitig vor der Entscheidung über den Widerruf der Lizenz das Bundesamt für Güterverkehr, die beteiligten Verbände des Verkehrsgewerbes, die fachlich zuständige Gewerkschaft und die zuständige Industrie- und Handelskammer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Kenntnisse der entsprechenden Stellen, die sich aus deren Nähe zum betroffenen Unternehmen ergeben, sollen auf diesem Wege auch im Entziehungsverfahren Berücksichtigung finden (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr zum Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 13/9314, 13/9437 – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts, BT-Drs. 13/10037, S. 34). In ihren gutachterlichen Stellungnahmen sollen sich die Anhörungsberechtigten aufgrund ihrer Erfahrungen und Kenntnisse äußern, welche sich aus den ihnen übertragenen Aufgabenbereichen ergeben (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, 3. Band, Stand September 2019 (EL 3/19), N § 3 GüKG, Rn. 7, S. 15). Dabei sollen die Verbände des Verkehrsgewerbes weitergehende Kenntnisse der persönlichen Verhältnisse des Antragstellers und einen umfassenden Überblick über die bestehenden Verkehrsbedürfnisse und damit die Existenzgrundlage der Unternehmerschaft vermitteln (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, 3. Band, Stand September 2019 (EL 3/19), N § 3 GüKG, Rn. 7, S. 16). Der Gewerkschaft obliegt die Vertretung der Interessen der im Transportgewerbe tätigen Arbeiter und Angestellten mit dem Ziel eines gesunden, gutfundierten Kraftverkehrsgewerbes (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, 3. Band, Stand September 2019 (EL 3/19), N § 3 GüKG, Rn. 7, S. 16).

Soweit aus der dem Gericht vorliegenden Sachakte der Antragsgegnerin ersichtlich, hat sie im Spätsommer 2017 verschiedene Stellen kontaktiert. In der nicht paginierten Akte findet sich eine Tabelle, die mit „Anhörung nach § 3 Abs. 5a GüKG vor einer Entscheidung über eine Rücknahme oder einen Widerruf“ überschrieben ist. Diese enthält unter anderem die Eintragungen „Anhörung am 30.08.2017 | BAG | 30.08.17 | 29.460,85 €“, „Anhörung am 30.08.2017 | Handelskammer Hamburg - Börse - | 12.09.17 | 1.609,84 €“ und „Anhörung am 31.08.2017 | @Verband Straßengüterverkehr und Logistik e.V. (VSH) | [kein Eintrag] | [kein Eintrag]“. Aufgrund dieser Angaben ist davon auszugehen, dass jedenfalls die zuständige Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Verein Hamburger Spediteure e.V. als Landesverband des Bundesverbandes Spedition und Logistik (DSLV) nicht angehört wurden. Ob der Verband Straßengüterverkehr und Logistik e.V. (VSH) als Landesverband des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) tatsächlich angehört wurde, oder ob eine Anhörung nur geplant war, ist nicht ersichtlich. Kopien der Anhörungsschreiben enthält die Sachakte der Antragsgegnerin nicht. Lediglich im Schreiben der Handelskammer vom 12. September 2017 wird auf eine „Anfrage vom 30.08.2017“ Bezug genommen. Das Gericht kann daher auch nicht beurteilen, ob die Antragsgegnerin die sich aus Rn. 28 i.V.m. Rn. 5 Buchst. b) der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Güterkraftverkehrsrecht (im Folgenden: GüKVwV) ergebenden Daten an die Anhörungsberechtigten übermittelt hat. Die Antragsgegnerin hat zudem Auszüge aus dem Führungsregister, dem Gewerbezentralregister und dem Fahreignungsregister eingeholt, ohne dafür das Einverständnis der Antragstellerin einzuholen, und damit gegen § 2 Abs. 4 der Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr (im Folgenden: GBZugV) verstoßen.

Durch die Verletzung der Verfahrensvorschriften, die nicht zur Nichtigkeit des Widerrufs führt, § 44 HmbVwVfG, wurde die Entscheidung in der Sache jedoch nicht beeinflusst. Vorliegend konnte keine andere Entscheidung als der Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz ergehen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung dürfte die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragstellerin sowie ihre mangelnde Zuverlässigkeit festgestanden haben. In dieser Situation stand der Lizenzentzug nicht im Ermessen der Antragsgegnerin und war auch nicht unverhältnismäßig (zu alledem sogleich unter (2)).

(2) Der Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz wird sich voraussichtlich als materiell rechtmäßig erweisen. Eine Güterkraftverkehrslizenz ist gemäß § 3 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 5 GüKG zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Unter den Umständen, die zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorlagen (unter (a)), hätte der Antragstellerin keine Güterkraftverkehrslizenz erteilt werden dürfen (unter (b)).

(a) Den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Güterkraftverkehrslizenz bildet die Entscheidung der Antragsgegnerin über den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Lizenzentzug. Grundsätzlich ist bei der – im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes inzident vorzunehmenden – Beurteilung der Begründetheit einer Klage auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, auf die es nach dem Streitgegenstand und dem darauf anwendbaren materiellen Recht für die Entscheidung ankommt. Danach ergibt sich für die Anfechtungsklage im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes (ständige Rechtsprechung, BVerwG, Urteil vom 28.7. 1989, 7 C 39.87, BVerwGE 82, 260 m.w.N., zuletzt etwa BVerwG, Beschluss vom 31.7. 2019, 3 B 7/18, für den Widerruf einer ärztlichen Approbation).

Eine solche abweichende Regelung enthält das Güterkraftverkehrsrecht nicht. Sie folgt insbesondere nicht aus Art. 7 Abs. 1 und Erwägungsgrund 10 der KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009. Soweit dort darauf abgestellt wird, dass das Unternehmen jederzeit in der Lage sein muss, im Verlauf des Geschäftsjahres seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, und die finanzielle Leistungsfähigkeit eine ordnungsgemäße Führung des Unternehmens ermöglichen muss, verdeutlichen diese Formulierungen lediglich, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Unternehmens nicht allein im Hinblick auf einen einzigen Stichtag beurteilt werden kann, sondern die Entwicklung über eine gewisse Zeitspanne in die Betrachtung einbezogen werden muss (dazu sogleich unter (b)). Auch dieser Beurteilungszeitraum endet jedoch mit der letzten behördlichen Entscheidung und reicht nicht darüber hinaus.

Ein abweichender Beurteilungszeitpunkt folgt auch nicht daraus, dass gemäß Art. 4 Abs. 1 GüterkraftverkehrsVO 1072/2009 bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung einer Gemeinschaftslizenz besteht. Im Bereich des behördlichen Einschreitens gegen Personen, die ein erlaubnisbedürftiges Gewerbe ausgeübt haben, ergibt sich vielmehr bereits aus dem Umstand, dass dessen Wiedergestattung stets von einem entsprechenden Antrag abhängt, eine Trennung zwischen dem behördlichen Erlaubnisentziehungs- und dem Wiedergestattungsverfahren. Es ist daher nicht Aufgabe der Behörde, während des Anfechtungsprozesses von Amts wegen zu prüfen, ob die Rücknahme- oder Widerrufsvoraussetzungen weiterhin bestehen. Dementsprechend kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides, durch den eine gewerbe- oder berufsrechtliche Erlaubnis entzogen wurde, auf die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehenden Verhältnisse an (BayVGH, Beschluss vom 24.1.2011, 11 CS 11.37, juris Rn. 19, so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.4.2013, 13 B 255/13, juris Rn. 27). Für eine Wiedergestattung relevante Umstände sind aus diesem Grund erst im Verfahren auf Neuerteilung einer Güterkraftverkehrslizenz zu prüfen, sie wirken sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung aus (VG Hannover, Urteil vom 22.6.2017, 5 A 993/16, juris Rn. 28).

(b) Am 23. Oktober 2018, dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids, hätte der Antragstellerin keine Güterkraftverkehrslizenz erteilt werden dürfen. Die Erteilung einer Güterkraftverkehrslizenz setzt gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. b) GüterkraftverkehrsVO 1072/2009 voraus, dass der gewerbliche Güterkraftverkehrsunternehmer in dem Niederlassungsmitgliedsstaat gemäß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates über den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur Durchführung des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs berechtigt ist. Der Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers wird gemeinschaftsrechtlich durch die KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 geregelt. Nach deren Art. 3 Abs. 1 müssen Unternehmen, die den Beruf des Kraftverkehrsunternehmers ausüben, über eine tatsächliche und dauerhafte Niederlassung in einem Mitgliedstaat verfügen (Buchst. a), zuverlässig sein (Buchst. b), eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit (Buchst. c) und die geforderte fachliche Eignung (Buchst. d) besitzen.

Die Antragstellerin dürfte weder die Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit (unter (aa)) noch an die Zuverlässigkeit (unter (bb)) erfüllt haben. Weil eine entsprechende Entscheidung sich auch nicht als unverhältnismäßig erweisen dürfte (unter (cc)), war die Antragsgegnerin verpflichtet, die der Antragstellerin erteilte Güterkraftverkehrslizenz zu widerrufen (unter (dd)).

(aa) Die Antragstellerin erfüllte zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht die gesetzlichen Anforderungen an die finanzielle Leistungsfähigkeit. Um finanziell leistungsfähig im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 zu sein, muss ein Unternehmen jederzeit in der Lage sein, im Verlauf des Geschäftsjahres seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 der Verordnung. Hierfür muss es gemäß Erwägungsgrund 10 der Verordnung über ein Mindestmaß an finanzieller Leistungsfähigkeit verfügen, damit die ordnungsgemäße Führung des Unternehmens gewährleistet ist.

Einen Anhaltspunkt für die finanzielle Leistungsfähigkeit bildet die ausreichende Ausstattung mit bilanziellem Eigenkapital, welche gemäß Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 durch Vorlage eines geprüften Jahresabschlusses nachgewiesen wird. Einen derartigen Jahresabschluss hat die Antragstellerin letztmalig für das Geschäftsjahr 2015 erbracht. Weitere Jahresabschlüsse oder sonstige Eigenkapitalnachweise sind in der Sachakte nicht enthalten und wurden auch im Übrigen nicht vorgelegt. Zwar trägt die Antragstellerin vor, die Antragsgegnerin habe es versäumt, eine aktuelle Eigenkapitalbescheinigung anzufordern, und so ihre Amtsermittlungspflicht verletzt. Für die Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit kommt es jedoch nicht darauf an, ob das Unternehmen den aktuellen geprüften Jahresabschluss jeweils unaufgefordert oder nur auf Nachfrage vorzulegen hat.

Die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Unternehmens kann nämlich nicht nur mithilfe des Jahresabschlusses ermittelt werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass andernfalls eine unterjährig eingetretene Zahlungsunfähigkeit erst geraume Zeit später, nämlich nach Abschluss des Geschäftsjahres und Fertigung des Jahresabschlusses, festgestellt werden könnte. Auch die Güterkraftverkehrslizenz könnte dann erst mit Verzögerung entzogen werden, obwohl die zur ordnungsgemäßen Führung des Unternehmens erforderliche finanzielle Leistungsfähigkeit schon seit längerer Zeit nicht mehr gegeben war. Dass die finanzielle Leistungsfähigkeit auch außerhalb des Jahresturnus anlassbezogen, nämlich bei Beantragung zusätzlicher beglaubigter Kopien und erheblicher Vergrößerung des Kraftfahrzeugbestandes, überprüft werden kann, ergibt sich zudem aus Nr. 18 GüKVwV.

Weil es sich bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens um eine Prognoseentscheidung handelt, können und müssen vielmehr alle zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über den Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz vorliegenden Umstände und Tatsachen im Hinblick darauf beurteilt werden, ob sich aus ihnen die Schlussfolgerung ziehen lässt, dass das Unternehmen seinen finanziellen Verpflichtungen zukünftig nicht nachkommen kann. Insofern gibt der Stand der fälligen Verbindlichkeiten eines Unternehmens Aufschluss darüber, ob es seine finanziellen Verpflichtungen in der jüngeren Vergangenheit bis zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung rechtzeitig und vollständig erfüllt hat. Für die Feststellung eventueller Zahlungsrückstände genügt es jedoch nicht, Aktiva und Passiva zu saldieren, ohne den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu berücksichtigen. Langfristig laufende Kredite, etwa zur Finanzierung umfangreicher Investitionen, erlauben nämlich ebenso wenig den Schluss auf eine fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit wie Schulden, für deren Rückzahlung eine (gestreckte) Tilgungsvereinbarung getroffen wurde. Für die Frage der ordnungsgemäßen finanziellen Ausstattung eines Unternehmens kommt es vielmehr darauf an, ob ausreichend Mittel vorhanden sind, um auch unerwartet entstehende Verbindlichkeiten jedenfalls ganz überwiegend bis zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Grundsätzlich muss ein Unternehmen durch entsprechende Rücklagen oder andere kurzfristig zu erlangende Mittel Vorsorge dafür treffen, dass etwa eigene Schuldner ihre Verpflichtungen nicht rechtzeitig erfüllen, erhoffte Aufträge nicht erteilt werden, überraschende Ausgaben erforderlich werden oder aus anderen Gründen unerwartete Liquiditätsengpässe auftreten, ohne dadurch gegenüber seinen eigenen Gläubigern in Rückstand zu geraten (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2.9.2010, OVG 1 S 98.10, juris Rn. 6).

Ist ein Unternehmen seinen finanziellen Verpflichtungen in der Vergangenheit nicht vollständig und rechtzeitig nachgekommen, so ist davon auszugehen, dass es zukünftig nicht über eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit verfügen wird, falls nicht ausnahmsweise erkennbar ist, dass die Zahlungsrückstände entweder nur über einen unwesentlichen Zeitraum bestehen werden oder hinsichtlich ihres Umfangs unter Berücksichtigung von Geschäftsvolumen und Ertragslage unerheblich sind.

Mithin kann allein aufgrund des „Schuldenstandes“ eines Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Prognose über dessen künftige finanzielle Leistungsfähigkeit getroffen werden. Ergibt sich dagegen aus einer jedenfalls mittelfristigen Betrachtung der Entwicklung von Forderungen und Verbindlichkeiten eines Unternehmens, dass Zahlungsrückstände nicht nur ganz vorübergehend bestehen, ist damit die zeitliche Komponente der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit gegeben. Einen Ansatzpunkt für die Bestimmung des zu berücksichtigenden Zeitraums kann die für die rechtzeitige Insolvenzantragstellung geltende Dreiwochenfrist (§§ 15a Satz 1, 17 Abs. 2 Satz 1 InsO) bilden. Danach liegt eine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen (BGH, Urteil vom 19.12.2017, II ZR 88/16, BGHZ 217, S. 129-153, juris Rn. 32). Dabei darf der Ausgleich bestehender Verbindlichkeiten jedoch nicht dazu führen, dass aktuell fällig gewordene Forderungen nicht beglichen werden und so wiederum eine nicht nur unerhebliche Liquiditätslücke entsteht.

Auch aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 folgt insofern nichts Anderes. Soweit das Unternehmen danach „im Verlauf des Geschäftsjahres“ in der Lage sein muss, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, ist mit dieser Formulierung keine Regelung dahingehend verbunden, dass fällige Zahlungen erst zum Ende des Geschäftsjahres erbracht werden müssten. Andernfalls könnte die finanzielle Leistungsfähigkeit jeweils nur zum Jahresende beurteilt werden. Es wäre dann auch bei gravierenden und über Monate hinweg bestehenden Ausständen, welche längst die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO auslösen, nicht möglich, die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens festzustellen.

Ob die fälligen Verbindlichkeiten des Unternehmens im Hinblick auf ihre Höhe die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, ist unter Berücksichtigung der Ertrags- und Vermögenslage des Unternehmens zu bewerten. Ein Steuer- oder Beitragsrückstand ist nur dann erheblich, wenn er nach Art und vor allem Höhe geeignet ist, Rückschlüsse auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des konkreten Unternehmens in seiner aktuellen Situation zu ziehen.Deshalb setzt die Qualifizierung eines Rückstandes als „erheblich“ voraus, dass über die Ermittlung einer absoluten Summe der fälligen Verbindlichkeiten hinaus diese Summe auch ins Verhältnis zum tatsächlichen Geschäftsumfang gesetzt wird (VG Ansbach, Gerichtsbescheid vom 15.8.2002, AN 10 K 01.01575, beck-online). Dementsprechend kann für die Frage, ob ein bestimmter Schuldenstand die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit eines Unternehmens indiziert, kein absoluter Grenzwert herangezogen werden, weil er keinen Aufschluss darüber erlaubt, inwieweit die für die ordnungsgemäße Führung des Unternehmens erforderliche finanzielle Ausstattung durch die fälligen Verbindlichkeiten beeinträchtigt wird. Auch Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 bestimmt für die mindestens nachzuweisende Eigenkapitalausstattung eines Unternehmens keine feste Summe, sondern macht diese von der Anzahl der genutzten Fahrzeuge und damit indirekt vom Geschäftsvolumen abhängig.

Auch aus dem von einem Unternehmen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erzielten Umsatz lässt sich nicht darauf schließen, wie sich der Umfang seiner fälligen Verbindlichkeiten zukünftig entwickeln wird, weil hierbei anfallende Kosten nicht berücksichtigt werden. Anhaltspunkte für die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens bieten vielmehr der von ihm erzielte Gewinn als Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen sowie die bestehenden Vermögenswerte, die gegebenenfalls liquidiert und zur Tilgung fälliger Forderungen herangezogen werden können. Dementsprechend fordert Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 den Nachweis einer Mindestausstattung mit „Eigenkapital und Reserven“, was dem bilanziellen Eigenkapital inklusive Rücklagen entspricht (Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, 3. Band, Stand September 2019 (EL 3/19), T 215 Art. 7, Rn. 4, S. 3).

Die Antragstellerin ist ihren finanziellen Verpflichtungen im Zeitraum vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht vollständig und rechtzeitig nachgekommen. Die Zahlungsrückstände bestanden nicht nur über einen unwesentlichen Zeitraum und waren auch hinsichtlich ihres Umfangs unter Berücksichtigung von Geschäftsvolumen und Ertragslage nicht nur unerheblich.

Die Antragstellerin hatte in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 jedenfalls bei den folgenden Gläubigern fällige Verbindlichkeiten:

BG Verkehr        Y Krankenkasse        Finanzamt Hamburg-X15.08.1729.460,85 €29.09.1722.162,28 €07.09.1748.349,26 €                                14.11.176.530,35 €13.02.1824.460,85 €10.04.1850.844,29 €03.04.1842.770,38 €                                16.07.1850.423,23 €01.10.1851.117,40 €04.10.1831.480,43 €28.09.1838.738,02 €                                                23.10.1824.517,69 €Im Zeitraum vom September 2016 bis August 2018 erließ das Finanzamt Hamburg-X insgesamt 16 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, mithilfe derer Forderungen gegen die Antragstellerin in Höhe von insgesamt mindestens 261.424,13 Euro beigetrieben werden sollten. Zwar wurden die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen überwiegend nach einiger Zeit aufgehoben, weil die ausstehenden Forderungen des Finanzamtes aufgrund von Zahlungen beglichen wurden, die auf den gepfändeten Konten der Antragstellerin eingingen und von den drittschuldnerischen Banken an die Steuerkasse ausgekehrt wurden. Wegen zwischenzeitlich neu entstandener Steuerschulden wurden jedoch jeweils zeitnah weitere Pfändungs- und Einziehungsverfügungen erlassen. Im Laufe der Zeit verlängerte sich wegen der immer schleppender verlaufenden Tilgungen der Zeitraum zwischen Erlass und Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung von wenigen Tagen auf mehrere Monate.

Damit hatte die Antragstellerin im dem Erlass des Widerspruchsbescheides vorgelagerten Zeitraum von mindestens einem Jahr durchgängig Zahlungsrückstände bei mehreren institutionellen Gläubigern, die sie zu keinem Zeitpunkt vollständig zurückführen konnte.

Die Zahlungsrückstände bestanden auch nicht nur in unerheblicher Höhe. Die fälligen Verbindlichkeiten der Antragstellerin gegenüber der BG Verkehr, der Y Krankenkasse und dem Finanzamt Hamburg-X beliefen sich im Herbst 2017 auf etwa 100.000 Euro, im Frühjahr 2018 auf etwa 118.000 Euro und im Herbst 2018 auf etwa 121.000 Euro. Im Zeitraum von Januar 2017 bis einschließlich September 2018 stand einem durchschnittlichen Monatsumsatz der Antragstellerin von etwa 175.000 Euro ein – negatives – durchschnittliches vorläufiges Ergebnis von etwa - 8.000 Euro gegenüber, die Antragstellerin erreichte nur in einem Drittel der Monate überhaupt die Gewinnschwelle und erwirtschaftete im Übrigen Verluste. Die von ihr erzielten Einnahmen ermöglichten dementsprechend nicht den Ausgleich der bestehenden Forderungen. Nichts sprach dafür, dass sich dies zukünftig ändern würde. Es ist auch nicht erkennbar, dass eine Tilgung der fälligen Verbindlichkeiten durch Liquidierung anderer Vermögenswerte möglich gewesen wäre. Ausweislich der unter dem 25. Oktober 2019 gegenüber dem Finanzamt Hamburg-X abgegebenen Einkommens- und Vermögensauskunft besaß die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt kein Grundvermögen, keine über die reine Büroeinrichtung hinausgehende Betriebs- oder Geschäftsausstattung und auch sonst keine werthaltigen Gegenstände oder Forderungen. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin ein Jahr vorher noch über derartige Vermögenswerte verfügte, sind nicht ersichtlich. Sämtliche auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeuge waren finanziert und geleast.

Der Antragstellerin dürfte damit nicht einmal das gemäß Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 erforderliche bilanzielle Mindest-Eigenkapital in Höhe von 134.000 Euro zur Verfügung gestanden haben.

(bb) Die Antragstellerin erfüllte zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung auch nicht die gesetzlichen Anforderungen an die Zuverlässigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009. Die in Deutschland geltenden Zuverlässigkeitsregelungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 enthält § 2 GBZugV. Nach § 2 Abs. 1 GBZugV ist ein Unternehmer bzw. Verkehrsleiter zuverlässig, wenn keine Tatsachen dafür vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen oder bei dem Betrieb des Unternehmens die Allgemeinheit geschädigt oder gefährdet wird. Liegen dagegen unanfechtbare Bußgeldbescheide etwa wegen schwerwiegender Verstöße gegen Gemeinschaftsvorschriften i.S.d. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 Buchst. b KraftverkehrsunternehmerVO 1071/2009 (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 GBZugV) oder gegen abgabenrechtliche Pflichten aus unternehmerischer Tätigkeit (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. d GBZugV) vor, kann sich daraus die Unzuverlässigkeit des Unternehmers ergeben.

Gegen die Antragstellerin sind mehrere unanfechtbare Bußgeldbescheide wegen schwerwiegender Verstöße gegen Gemeinschaftsvorschriften ergangen. Im Zeitraum von Oktober 2015 bis einschließlich September 2018 wurden ausweislich des Gewerbezentralregisterauszugs 26 Bußgeldbescheide gegen die Antragstellerin erlassen, durch die Geldbußen in Höhe von insgesamt 40.928,75 Euro verhängt wurden. Elf der Bescheide ergingen im Jahr 2018. Sanktioniert wurde hierbei die nicht ordnungsgemäße Verwendung des Fahrtenschreibers (sieben Fälle), das Fahren ohne gültige Fahrerkarte (vier Fälle), das Nichteinhalten der Ruhezeit (zwei Fälle), der Tagesarbeits- und der Tageslenkzeit. Zudem wurden insgesamt 21 Verstöße gegen Pflichten betreffend die Dokumentation und das Kopieren von Fahrtdaten festgestellt. Die Kategorisierung derartiger Verstöße ergibt sich aus Anhang I zur Verordnung (EU) 2016/403 der Kommission vom 18. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Einstufung schwerwiegender Verstöße gegen die Unionsvorschriften, die zur Aberkennung der Zuverlässigkeit der Kraftverkehrsunternehmer führen können, sowie zur Änderung von Anhang III der Richtlinie 2006/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Verordnung 2016/403 über schwerwiegende Verstöße). Danach stellen jedenfalls die nicht ordnungsgemäße Verwendung des Fahrtenschreibers (Anhang I Nr. 2.8), das Fahren ohne gültige Fahrerkarte (Nr. 2.24) sowie das nicht rechtzeitige Kopieren von Daten der Fahrerkarte bzw. des Massenspeichers (Nr. 2.15) sehr schwerwiegende Verstöße dar.

Gegen die Antragstellerin sind zudem mehrere unanfechtbare Bußgeldbescheide wegen schwerer Verstöße gegen abgabenrechtliche Pflichten ergangen. Als schwer ist ein Verstoß – unter Zugrundelegung eines güterkraftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeitsbegriffs (OVG Hamburg, Beschluss vom 1.7.2014, 4 Bs 120/14, juris Rn. 20) – dann zu qualifizieren, wenn aus dem sanktionierten Verhalten generalisierend darauf geschlossen werden kann, dass der Unternehmer (auch) künftig bei der Führung des Unternehmens geltende Vorschriften missachten oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens schädigen oder gefährden würde (OVG Hamburg, Beschluss vom 3.11.2011, 3 Bs 182/11, juris Rn. 10, zum Personenbeförderungsrecht). Im Zeitraum von September 2016 bis einschließlich August 2019 hat das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen 14 Bußgeldbescheide erlassen, durch die Geldbußen in Höhe von insgesamt 17.235 Euro festgesetzt wurden. Dem lag zugrunde, dass die Antragstellerin die in Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge nicht ordnungsgemäß entrichtet und so das Umsatzsteueraufkommen vorsätzlich geschädigt hat, § 26b Abs. 1 UStG. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin ihre abgabenrechtlichen Pflichten zukünftig ordnungsgemäß erfüllen wird, sind nicht ersichtlich.

Insgesamt hat die Antragstellerin kontinuierlich und erheblich sowohl gegen die der Verkehrssicherheit dienenden Vorschriften als auch gegen die sich aus der unternehmerischen Tätigkeit ergebenden abgabenrechtlichen Pflichten verstoßen. Aus Art, Häufung und zeitlicher Abfolge der von der Antragstellerin zu verantwortenden Zuwiderhandlungen folgt, dass sie nicht willens und/oder fähig war und ist, ihr Unternehmen gesetzestreu zu führen und so die Allgemeinheit vor betriebsbedingten Gefährdungen und Schäden zu schützen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass nicht einmal der Druck des schwebenden Widerrufsverfahrens zu einem verkehrs- und abgabenrechtlich einwandfreien Verhalten der Antragstellerin geführt hat.

(cc) Der Widerruf dürfte sich auch als verhältnismäßig erweisen. Zwar stellt der Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz einen erheblichen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Alleingesellschafterin der Antragstellerin dar. Die Antragsgegnerin greift dadurch auch in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerin i.S.d. Art. 14 GG ein. Das Interesse der Antragstellerin an der Fortführung des Transportbetriebes muss jedoch angesichts der Bedeutung der Rechtsgüter der Allgemeinheit, deren Schutz der Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz dient, zurücktreten. Sowohl bei der Sicherheit des Straßenverkehrs sowie von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer als auch bei den Belangen des Steuerfiskus handelt es sich um wichtige Güter der Allgemeinheit. Der möglicherweise eintretende bzw. sich (hinsichtlich der Steuerschulden) weiter vergrößernde Schaden an diesen Rechtsgütern wiegt zu schwer, als dass der Antragstellerin die Lizenz belassen werden könnte, selbst wenn dies mit der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz einhergeht. Ein milderes Mittel ist in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit, dass auch zukünftig Verstöße sowohl gegen die Vorschriften zum Schutz der Verkehrssicherheit als auch gegen die Regelungen des Steuer- und Abgabenrechts begangen werden, nicht erkennbar. Zur Sicherung des besonderen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zur Ausübung des Güterkraftverkehrs ist vielmehr die sofortige Einstellung des Betriebs der Antragstellerin erforderlich, weil keine milderen Mittel ersichtlich sind, um deren Einhaltung zu erreichen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die Antragstellerin auch während und nach der von ihr erbetenen und von der Antragsgegnerin gewährten Aussetzung des Widerrufsverfahrens im Jahr 2017 weiterhin mehrfach und erheblich gegen ihr obliegende verkehrs- und abgabenrechtliche Pflichten verstieß, sodass kein Anlass besteht, von einer zukünftigen Besserung der Verhältnisse auszugehen.

Zudem handelt es sich bei dem Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz, anders als die Antragstellerin meint, nicht um einen irreparablen Vorgang, weil sie jederzeit einen Antrag auf erneute Erteilung einer entsprechenden Lizenz stellen kann. In diesem Neuerteilungsverfahren wären die nach Erlass des Widerspruchsbescheides eingetretenen bzw. veränderten Umstände sodann vollumfänglich zu berücksichtigen. Liegen die Erteilungsvoraussetzungen vor, weil sich die finanzielle Lage der Antragstellerin stabilisiert hat und auch ihre Zuverlässigkeit wieder zu bejahen ist, hat sie einen Anspruch auf Erteilung der Güterkraftverkehrslizenz, § 3 Abs. 2 GüKG bzw. Art. 4 Abs. 1 GüterkraftverkehrsVO 1072/2009. Dieser ließe sich gegebenenfalls auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sichern.

(dd) Die Antragsgegnerin musste aufgrund der Feststellung der fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit und der Unzuverlässigkeit der Antragstellerin die Güterkraftverkehrslizenz widerrufen. Ihr kam in dieser Situation kein Entscheidungsspielraum zu, weil weder Art. 7 Abs. 2 Buchst. a GüterkraftverkehrsVO 1072/2009 noch § 3 Abs. 5 Satz 2 GüKG den Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz im Falle des Wegfalls der Erteilungsvoraussetzungen in das Ermessen der Behörde stellen. Es handelt sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.4.2013, 13 B 255/13, juris Rn. 9, OVG Saarland, Beschluss vom 26.5.2009, 1 A 15/09, juris Rn. 8; VG Düsseldorf, Beschluss vom 4.7.2019, 6 L 1288/19, juris Rn. 42, Hein/Eichhoff/Pukall/Krien, Güterkraftverkehrsrecht, 3. Band, Stand September 2019 (EL 3/19), N § 3 GüKG, Rn. 6, S. 14).

b) Das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Güterkraftverkehrslizenz überwiegt das Interesse der Antragstellerin daran, die Lizenz bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache weiter nutzen zu dürfen.

Zwar hat der Widerruf der Güterkraftverkehrslizenz erhebliche wirtschaftliche Folgen für die Antragstellerin, die unter Umständen bis zur Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz reichen können, und in deren Folge auch die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer möglicherweise erhebliche finanzielle und berufliche Nachteile erleiden. Die Gefahr, die von der Antragstellerin als unzuverlässiges und finanziell nicht leistungsfähiges Unternehmen ausgeht, ist jedoch so groß, dass eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Güterkraftverkehrslizenz bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in Anbetracht der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter und des Grades des für sie bestehenden Risikos nicht in Betracht kommt, weil andernfalls zu befürchten ist, dass die Antragstellerin ihr Fehlverhalten auch während des Hauptsacheverfahrens fortsetzt. Dies gilt insbesondere in Anbetracht dessen, dass sich die Steuerschulden der Antragstellerin – wie von der Antragsgegnerin prognostiziert – während des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes von etwa 25.000 Euro auf nunmehr etwa 186.000 Euro erhöht haben, ohne dass eine Wiederherstellung geordneter finanzieller Verhältnisse absehbar wäre.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und den Abschnitten 1.5 und 47.1 des Streitwertkatalogs.