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VG Köln, Beschluss vom 05.11.2019 - 23 L 1963/19

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 5720/19 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. August 2019 wird wiederhergestellt. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin 23 K 5720/19 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. August 2019 wiederherzustellen,

hat Erfolg.

Der zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 5720/19 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. August 2019 wiederherzustellen, ist begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt wiederherstellen, wenn bei der gebotenen Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich die Ordnungsverfügung bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren alleine möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist. Gemessen hieran überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, weil die Klage voraussichtlich Erfolg haben wird.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziff. 1 der Ordnungsverfügung) findet ihre Rechtsgrundlage nicht in den einzig in Betracht kommenden Vorschriften der § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV.

Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).

Die hier einzig in Betracht kommenden Eignungsmängel nach den Ziff. 9.1, 9.2.2 und 9.4 liegen bei der Antragstellerin nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht vor.

Nach Ziff. 9.1 kann die Fahreignung ausgeschlossen sein, wenn - ausgenommen Cannabis - eine Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG vorliegt. Im konkreten Fall hat die Antragstellerin Betäubungsmittel in diesem Sinne jedoch nicht eingenommen. Zwar gilt das von der Antragstellerin eingenommene Diazepam (bzw. Temazepam als Diazepam-Metabolit) gemäß Anlage III des BtMG grundsätzlich zu den verkehrsfähigen und verschreibungspflichtigen Betäubungsmitteln. Allerdings gilt dies nicht für Diazepam in Zubereitungen, die ohne einen weiteren Stoff der Anlagen I bis III bis zu 1 vom Hundert als Sirup oder Tropflösung, jedoch nicht mehr als 250 mg je Packungseinheit, oder je abgeteilte Form bis zu 10 mg Diazepam enthalten. Im konkreten Fall ist davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin am 11. Dezember 2018 eingenommenen Diazepam-Tabletten der vorgenannten Zubereitungsart entsprechen. Dies ergibt sich aus den Äußerungen der diensthabenden Ärztin Dr. J. des Krankenhauses St. K. in C. . Hiernach hat die Antragstellerin vier Tabletten Diazepam mit insgesamt 40 mg zu sich genommen.

Selbst wenn es sich bei dem von der Antragstellerin konsumierten Diazepam jedoch um ein gemäß der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG einschlägiges verkehrsfähiges und verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel gehandelt haben sollte, das nach seiner Zubereitungsart nicht von dem Katalog ausgenommen ist, könnte ein Eignungsmangel bei der Antragstellerin gleichwohl nicht auf Ziff. 9.1 gestützt werden. Denn bei der Einnahme von Arzneimitteln, die Stoffe enthalten, welche Betäubungsmittel im Sinne der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG sind, kann die fehlende Fahreignung nicht schon aus Nr. 9.1 der Anlage 4 (ein- oder mehrmalige Einnahme von Betäubungsmitteln) hergeleitet werden, da insoweit die in Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 definierten Eignungsmängel speziellere Anforderungen normieren. Missbräuchliche Einnahme wird in Nr. 9.4 der Anlage 4 FeV definiert als regelmäßig übermäßiger Gebrauch, d. h. der ein- oder mehrmalige Gebrauch genügt - anders als bei illegalen Drogen - nicht. In diesem Sinne dürfte auch Ziffer 3.14.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung zu verstehen sein, die den Schluss aus der Einnahme von Betäubungsmitteln auf die fehlende Fahreignung dann ausschließen, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Auch bei dem Eignungsmangel nach Nr. 9.6 der Anlage 4 genügt eine ein- oder mehrmalige Einnahme eines Arzneimittels nicht; vielmehr wird eine die Leistungsfähigkeit beeinträchtigende Dauerbehandlung mit Medikamenten vorausgesetzt.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 10 S 243/12 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 6. Mai 2009 - 3 B 1/09 -, juris

Weiterhin kann eine fehlende Fahreignung der Antragstellerin nicht auf Ziff. 9.2.2 gestützt werden. Hiernach kann bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis nur dann von einer Eignung ausgegangen werden, wenn das Gebot der Trennung von Konsum und Fahren beachtet wird und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt sowie keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Hier fehlt es bereits daran, dass die Antragstellerin "gelegentlich" Cannabis konsumiert. Nach den im Verfahren der Kammer vorliegenden Erkenntnissen handelte es sich bei dem Konsum von Cannabis der Antragstellerin am 11. Dezember 2018 vielmehr um einen singulären Vorfall. Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, dass sie sich an diesem Tag durch den praktizierten Mischkonsum das Leben nehmen wollte. Dafür, dass es sich um einen wiederholten Cannabiskonsum gehandelt haben könnte, fehlt es an jeglichen konkreten Anhaltspunkten. Zudem ist nach der vorliegenden Erkenntnislage auch davon auszugehen, dass die Antragstellerin nicht unter Cannabiseinfluss ein Kfz führte. Das Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) wurde ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft C. vom 3. Juni 2019 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Schließlich lässt sich auch aus Ziff. 9.4 eine fehlende Fahreignung der Antragstellerin nicht begründen. Danach kann bei missbräuchlicher Einnahme im Sinne eines regelmäßig übermäßigen Gebrauchs von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen von fehlender Fahreignung ausgegangen werden. Es ergeben sich jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin regelmäßig in missbräuchlicher Art und Weise Diazepam zu sich nimmt. Vielmehr ist bei ihrem Konsumverhalten am 11. Dezember 2018 aufgrund des beabsichtigten Suizids von einem einmaligen Vorkommnis auszugehen. Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, dass sie das ihr ärztlich verordnete Diazepam zuvor lediglich ordnungsgemäß und gelegentlich zu therapeutischen Zwecken eingenommen habe.

Die Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen nach § 3 Abs. 1 FeV (Ziff. 2 der Ordnungsverfügung) erweist sich in der Folge ebenfalls als rechtswidrig.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. In Verfahren wegen der Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis setzt die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OVG NRW den Streitwert in Hauptsacheverfahren einheitlich auf den Auffangwert von 5.000,00 € fest. Dieser Wert ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf den hälftigen Betrag zu reduzieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2015 - 16 B 8/15 -, juris

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.

Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.