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VG Köln, Beschluss vom 26.04.2017 - 20 L 1811/17

Tenor

1. Soweit die Antragsteller und der Antragsgegner das Verfahren hinsichtlich der Auflagen 7 und 9 in dem Bescheid des Antragsgegners vom 21.04.2017 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

2. Die aufschiebende Wirkung der Klage (20 K 5917/17) gegen die Versamm-

lungsbestätigung vom 21.04.2017 wird bzgl. der Auflagen 2, 4 und 6

wiederhergestellt.

Im Übrigen (Auflagen 1 und 8) wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller und der Antragsgegner je zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, diese tragen die Antragsteller.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Soweit die Antragsteller und der Antragsgegner das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Der von den Antragstellern weiterhin gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der der Klage (20 K 5917/17) gegen die

Auflagen Nrn. 1, 2, 4, 6 und 8 in dem Bescheid des Antragsgegners vom 21.04.2017 wiederherzustellen,

ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist er unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht nach Anordnung der sofortigen Vollziehung belastender Verwaltungsakte die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers am Aufschub der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Vorliegend fällt bei Überprüfung der angegriffenen, auf § 15 Abs. 1 VersG gestützten Maßnahmen die anzustellende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stellen sind, lediglich teilweise zu Gunsten der Antragsteller aus.

Bei dieser Entscheidung orientiert sich die Kammer an den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG im Einzelnen ausgeführt hat,

vgl. u.a. Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 und 1 BvR 341/81 -, BVerfGE, 69, 315 ff.; Beschlüsse vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; vom 21.04.2000 - 1 BvQ 10/00 -; vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00 -; vom 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, 3053; vom 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 sowie 1 BvQ 9/01 -; vom 24.03.2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, 2069; vom 01.05.2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078; vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90; Senatsbeschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, NJW 2004, 2814; Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05 -; Beschluss vom 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -; Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 -; Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, NVwZ 2006, 1049; Beschluss vom 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 -, NVwZ-RR 2007, 641; Beschluss vom 07.11.2008 - 1 BvQ 43/08 -; Beschluss vom 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -NJW 2010, 141 sowie Beschluss vom 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10 -, juris,

insbesondere auch zu Versammlungsauflagen,

vgl. Beschluss vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; Beschluss vom 02.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris.

Die in Art. 8 GG gewährleistete Versammlungsfreiheit schließt das Recht ein, - u.a. - über den Ort der Veranstaltung und die hierfür vorgesehenen Hilfsmittel selbst zu bestimmen.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde Versammlungen und Aufzüge von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Dabei sind versammlungsrechtliche Auflagen ein Mittel, gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen.

Diesen Grundsätzen wird durch die hier ergangene Auflage Nr. 1, die bezüglich des gewählten Versammlungsortes einen wesentlichen Bestandteil der angemeldeten Versammlung betrifft, nach der sich bietenden Aktenlage hinreichend Rechnung getragen.

Allerdings verschafft die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, sie gewährleistet aber die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies gilt - wovon auch der Antragsgegner ausgeht - nicht nur für den Straßenraum, der nach straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen förmlich zum öffentlichen Gebrauch gewidmet ist. Der grundrechtliche Schutz für Versammlungen gilt vielmehr auch für Stätten, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen.

vgl. BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 - 1 BvR 699/06 -, BVerfGE 128,226; juris (sog. Fraport-Entscheidung); OVG NRW, Beschluss vom 27.02.2014 - 5 B 243/14, juris.

Vorliegend handelt es sich bei der in Rede stehenden Örtlichkeit vor dem WCCB in Bonn unstreitig um einen öffentlichen Straßenraum, der für die Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich ist. Es kann bei der der Kammer im Rahmen der wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht festgestellt werden, dass die stationäre Versammlung der Antragsteller durch den nunmehr zugewiesenen Ort auf dem Platz der Vereinten Nationen in südöstlicher Richtung vom Haupteingang unter Berücksichtigung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz den Schutz der Antragsteller aus Art. 8 GG in nicht hinnehmbarer Weise verletzen würde. Der Versammlungsort reicht unmittelbar bis an das Bezugsobjekt, dem WCCB als Durchführungsstätte der Hauptversammlung der Beigeladenen, heran, jedenfalls nach dem vom Antragsgegner am 12.04.2017 mit Vertretern der Beigeladenen und des WCCB geführten Gespräch, das eine gemeinsame Nutzung des Platzes durch die Beigeladene und die Versammlung der Antragsteller zum Resultat hatte. Soweit eine räumliche Trennung durch einen - von der der Beigeladenen seitens der Stadt Bonn erteilten straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnis gedeckten - Zaun herbeigeführt wird, haben sowohl der Antragsgegner als auch die Beigeladene im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich erklärt, dass durch die Beschaffenheit dieses Zaunes die Blickfreiheit auf den Eingang zum WCCB und zum Standort der Versammlung gewährleistet wird. Die Kammer sieht keinen Anlass, dieses Vorbringen in Zweifel zu ziehen.

Soweit sich die Antragsteller vor allem dagegen wenden, dass aufgrund der der Beigeladenen von der Stadt Bonn erteilten Erlaubnis zum Aufstellen eines großen Zeltes vor dem Eingang des WCCB die zur Verfügung stehende Platzfläche für ihre Versammlung in unzumutbarer Weise verkleinert bzw. seitlich verschoben werde, vermögen sie mit diesem Vorbringen vorliegend nicht durchzudringen, da dieses Zelt nach den substantiierten Darlegungen des Antragsgegners und der Beigeladenen auch von seiner Größenordnung her ein unerlässlicher Bestandteil des Sicherheitskonzepts für die Durchführung der Hauptversammlung der Beigeladenen ist. Diese Darlegungen erscheinen der Kammer, die die Beurteilung der Sicherheitslage und der insoweit erforderlichen Vorkehrungen durch die hierfür fachlich kompetenten Stellen nur eingeschränkt zu bewerten vermag, jedenfalls ohne Weiteres nachvollziehbar.

Die angefochtene Auflage Nr. 8 ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Das Mitführen von Glasflaschen und Metallbehältern gehört nicht zu den von Art. 8 GG erfassten und damit nach dem Versammlungsrecht erlaubnisfreien Tätigkeiten. Im Übrigen können zerbrochene Flaschen Versammlungsteilnehmer und unbeteiligte Dritte verletzen. Zudem können Flaschen und Metallbehältnisse als Wurfgeschosse eingesetzt werden. Den Versammlungsteilnehmern ist zumutbar, Getränke in handelsüblichen Plastikflaschen bei sich zu führen.

vgl. VG Göttingen, Urteil vom 22.04.2009 - 1 A 355/07 -, juris.

Die Auflagen Nr. 2, 4 und 6 stellen sich hingegen als rechtswidrig dar.

Bezüglich der Auflage Nr. 2 gilt Folgendes: Die Versammlungsfreiheit schließt grundsätzlich das Recht ein, die für die Veranstaltung vorgesehenen Hilfsmittel selbst zu bestimmen. Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die als Gestaltungsmittel ángegebenen landwirtschaftlichen Fahrzeuge/Maschinen sowie der als Bühne zu nutzende Lkw (7,5) nicht den erforderlichen konkreten Bezug zum Thema der Versammlung aufweisen würden, zumal an der Veranstaltung der Antragsteller auch die "Arbeitsgemeinschaft C. M. F. W.." teilnimmt. Es ist auch nicht erkennbar, inwiefern durch das Abstellen der Fahrzeuge im Rahmen der stationären Versammlung (ohne Aufzug) eine nennenswerte Beeinträchtigung geschützter Rechtspositionen Dritter oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen sollte.

Auch die Auflage Nr. 4 stellt sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig dar. Der Formulierung der Auflage ist zu entnehmen, dass die Lautsprecheranlage nicht lauter eingestellt werden darf, als zum Erreichen der Versammlung unbedingt erforderlich ist, und deshalb der Schallkörper in Richtung der Versammlungsteilnehmer zu richten ist. Indes darf sich eine Einschränkung der Lautsprecherbenutzung nicht - wie es in der streitigen Auflage zum Ausdruck kommt - allein auf die Erforderlichkeit eines solchen Hilfsmittels für die Erreichbarkeit der Versammlungsteilnehmer beschränken, vielmehr ist ein solches Hilfsmittel auch zum Zwecke der Erregung von Aufmerksamkeit Außenstehender (Außenkommunikation) zulässig.

vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.11.2008 - 1 B 2.07 2311/94 -, juris; HessVGH, Beschluss vom 31.05.2012 - 8 A 514/12 -, juris.

Es ist demnach eine konkrete Rechtsgüterabwägung mit Rechtspositionen möglicherweise beeinträchtigter Dritter erforderlich, insbesondere auch in Anbetracht des in Rede stehenden Versammlungsortes. Dies ist hier nicht in ausreichender Weise geschehen. Soweit vom Antragsgegner konkret ein höchstzulässiger Lautsprecherpegel von 90db (A) bezeichnet wird, bedarf es insoweit keiner abschließenden Überprüfung und Beurteilung seitens des Gerichts; es bleiben dem Antragsgegner Anweisungen im Verlauf der Versammlung unbenommen, wenn sich die Lautstärke der eingesetzten Lautsprecher und Megaphone als unangemessen hoch erweisen sollte.

Die Auflage Nr. 6 stellt sich bei summarischer Prüfung, insbesondere auch angesichts des Ablaufs des Verwaltungsverfahrens, ebenfalls als rechtswidrig dar. In den Kooperationsgesprächen sind - soweit ersichtlich - Beschränkungen bezüglich der Hilfsmittel Transparente, Fahnen u.ä. nicht substantiiert angesprochen worden. Vor diesem Hintergrund muss für die Größenbegrenzung von Fahnen- und Transparentstangen und Transparenten ein sachlicher Grund vorliegen. Dies vermag die Kammer indes nicht zu erkennen, da - insbesondere auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin zu 1) seit vielen Jahren durchgeführten gleichgelagerten Versammlungen - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass z.B. längere Fahnenstangen als Waffen eingesetzt werden oder sonst die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährden.

Nach alledem ist bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung vorliegend - auch unter Berücksichtigung der Kürze der dem Gericht für die Entscheidung verbleibenden Zeit - festzustellen, dass der Antragsgegner beim Erlass der Auflagen Nr. 2, 4 und 6 keine hinreichende Rechtsgüterabwägung getroffen haben dürfte und dadurch den Antragstellern durch diese Auflagen im Lichte des Art. 8 GG nicht hinnehmbare Nachteile erwachsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Der Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird, wobei auf die Anfechtung der Auflage Nr. 1 2.000,00 Euro entfallen.