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VG Münster, Urteil vom 18.05.2017 - 8 K 1562/16

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind Bewohner des Gebäudes P. in N. und Anwohner der Straße P. . Das Wohnhaus der Kläger liegt in einem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet. Die Straße P. ist als Landesstraße eingestuft (L 885) und verläuft in Ost-West-Richtung zwischen den Ortsteilen B. /X. und I. . Für den hier fraglichen Streckenabschnitt gilt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h.

Unter dem 25. November 2015 stellten die Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO auf der Straße P. in N. . Zur Begründung gaben sie an: Es bestehe der Verdacht, dass an der Straße P. der Kfz-Verkehr einen Lärmpegel verursache, der die Gesundheit der Anwohner gefährde sowie schädliche Umwelteinwirkungen verursachen könne. Es sei davon auszugehen, dass die Orientierungswerte der 16. BImSchV für WA-Gebiete in Höhe von 59 dB (A) tags und 49 dB (A) nachts erheblich überschritten würden.

Der von der Beklagten beteiligte M. T. O. führte für das Wohnhaus der Kläger eine überschlägige Lärmberechnung durch. Dabei berücksichtigte er einen durchschnittlichen Verkehr von 9.489 Fahrzeugen am Tag, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h, einen Abstand des Gebäudes der Kläger zur Fahrbahnachse von 17,80 Meter sowie einen Lkw-Anteil am Tag von 4,5 % und nachts von 5,7 %. Daraus ergab sich am Gebäude der Kläger ein Lärmpegel von 63,1 dB (A) tags und 54,8 dB (A) nachts. Eine spätere Neuberechnung für einen Immissionsort in Höhe von 8,40 m am Gebäude der Kläger (2. Obergeschoss) ergab einen Lärmpegel von 63,8 dB(A) tags und 55,5 dB (A) nachts. Eine Verdoppelung des Verkehrs auf ca. 19.000 Fahrzeuge am Tag würde nach den Berechnungen des M. T. O. zu einem Lärmpegel von 66,8 dB(A) am Tag sowie 58,5 dB(A) nachts führen.

Bei einer im November 2015 durchgeführten Verkehrszählung wurden durchschnittlich ca. 13.200 Fahrzeuge am Tag auf der Straße P. ermittelt.

Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2016 wies der Beklagte die Kläger auf die Lärmberechnung des M. T1. O. hin und teilte mit, es bestünde keine Notwendigkeit für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen.

Mit Bescheid vom 23. März 2016 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen auf der Straße P. in N. ab und setzte für diese Entscheidung eine Gebühr von 48,75 € fest. Zur Begründung trug sie vor: Ein auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde begrenzter Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten bestehe, wenn die Verletzung öffentlichrechtlich geschützter Individualinteressen in Betracht komme. Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO gehöre auch das Recht der Wohnbevölkerung auf Schutz vor Lärm und Abgasen. Nach den Verwaltungsvorschriften zu § 45 Abs. 1 StVO seien für die Anordnungen von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen die Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV) maßgeblich. Nach Nr. 2.1 der Lärmschutz-Richtlinien-StV kämen straßenverkehrsrechtliche Lärmschutzmaßnamen insbesondere in Betracht, wenn der vom Straßenverkehr herrührende Beurteilungspegel am Immissionsort die Werte im vorliegenden allgemeinen Wohngebiet von 70 dB (A) tags und 60 dB (A) nachts überschreite. Die durch die erfolgten Lärmberechnungen des zuständigen Straßenbaulastträgers ermittelten Pegelwerte von 63,1 dB (A) tags und 54 dB (A) nachts lägen weit unter den Werten, die in der Lärmschutz-Richtlinien-StV angegeben seien. Deshalb bestehe kein Erfordernis straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen. Auch unter Berücksichtigung des bestehenden Restermessens gem. § 45 Abs. 1 und 9 StVO führten die angeführten Gründe der Kläger zu keinem anderen Ergebnis. Zudem weise die Straße P. keine Unfallhäufungsstelle auf.

Am 2. Mai 2016 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor: Die Straßenverkehrsbehörden seien gem. § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO verpflichtet, ermessensfehlerfrei zu prüfen, ob zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken beschränkt oder verboten oder der Verkehr umgeleitet werde. Unter den Begriff Wohnbevölkerung werde nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch der einzelne Anwohner subsummiert, wenn er in einem geschützten Individualinteresse verletzt werde. Nach gefestigter Rechtsprechung müssten die Straßenverkehrsbehörden grundsätzlich dann handeln, wenn die Einwirkungen des Straßenverkehrs das nach allgemeiner Anschauung ortsübliche, zumutbare Maß überschritten hätten. Inzwischen könne als gefestigte Rechtsprechung angesehen werden, dass auch auf die Werte der 16. BImSchV als Orientierungswerte Bezug genommen werden müsse. Somit setze die Pflicht der Straßenverkehrsbehörde zu einer Ermessensausübung bei Erreichen der Werte der 16. BImSchV ein, während bei Überschreitung der Richtwerte der Lärmschutzrichtlinie sich das Ermessen der Behörde zu einer Pflicht zum Einschreiten verdichten könne. Die Orientierungswerte der 16. BImSchV von 59 dB (A) tags und 49 dB (A) nachts würden am Wohnhaus der Kläger deutlich überschritten. Verkehrslärm habe erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Aus vorliegenden Lärmstudien könne geschlossen werden, dass die Kläger einer Erhöhung ihres Herzinfarktrisikos ausgesetzt seien. Der Entwurf zum Lärmaktionsplan verweise auf Erkenntnisse der Lärmforschung, wonach bei einer Dauerbelastung mit Mittelungspegeln von mehr als 65 dB(A) tags und mehr als 55 dB(A) nachts das Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen zunehme. Darüber hinaus komme im vorliegenden Fall auch die Überschreitung von Innenraummaximalpegeln in Betracht. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. April 2000 (11 A 18/98) sei die Schwelle der Gesundheitsgefährdung im Innenraum am Ohr einer schlafenden Person mit einem Dauerschallpegel zwischen 30 bis 35 dB (A) und Pegelspitzen von 40 dB (A) zu bemessen. Bisher seien solche Untersuchungen nicht angestellt worden. Insofern liege ein Ermessensausfall vor. Des Weiteren habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass sich der LKW-Verkehr nach der Verkehrszählung im Jahre 2014 gegenüber der Zählung im Jahre 2013 nahezu verdoppelt habe. Dies belege, dass ortsunübliche Veränderungen der Verkehre eingetreten seien. Die Beklagte habe sich bei ihrer Ermessensprüfung unter anderem auf Lärmpegel nach den Lärmschutz-Richtlinien-StV bezogen. Diese Richtlinien hätten aber keine Gesetzesqualität. Aus ihnen gehe lediglich hervor, dass insbesondere ab bestimmten Richtwerten straßenverkehrsrechtliche Lärmschutzmaßnahmen in Betracht zu ziehen seien. Damit seien diese auch ausdrücklich bei niedrigeren Richtwerten möglich. Des Weiteren sei die Gebührenerhebung in Höhe von 48,75 € für die Erteilung des Bescheides rechtswidrig. § 6 a Abs. 1 Nr. 1 a STVG nenne als kostenauslösende Bereiche Amtshandlungen, einschließlich Prüfungen und Überprüfungen der Qualitätssicherung, Abnahmen, Begutachtungen, Untersuchungen und Verwarnungen. Verkehrsbeschränkende Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, zu deren Prüfung die Behörde nach der ständigen Rechtsprechung ab einer bestimmten Lärmbelastung verpflichtet sei, fielen nicht unter diese Handlungen.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2016 zu verpflichten, über den Antrag der Kläger vom 25. November 2015 auf Durchführung verkehrsbeschränkender Maßnahmen an der Straße P. in N. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor: Die Straßenverkehrsbehörden könnten nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO die Nutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Bei der Prüfung des Tatbestandes sei zu berücksichtigen, dass die Grenze des billigerweise zumutbaren Verkehrslärms nicht durch bestimmte Grenzwerte festgelegt sei. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Lärmbeeinträchtigungen jenseits dessen lägen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen werden müsse. Die am Gebäude der Kläger ermittelten Werte lägen zwar oberhalb der Grenzwerte der 16. BImSchV. Dennoch habe die Beklagte den Antrag ermessensfehlerfrei ablehnen können. Die am Gebäude der Kläger ermittelten Lärmwerte lägen weit unterhalb der Richtwerte der Lärmschutz-Richtlinien-StV. Daneben seien Lage und Nutzung des Grundstücks bei den Ermessenserwägungen zu berücksichtigen. An der Straße P. lägen die Garage, der Hauseingang und drei Fenster des Gebäudes. Die Ausrichtung der sonstigen Wohnräume und der nutzbaren Grundstücksbereiche (Terrasse, Garten, Anbau) lägen auf der anderen Seite. Des Weiteren seien in die Ermessenserwägungen der Gebietscharakter sowie die Bedeutung der Verkehrsfläche als Landesstraße einzustellen. Die L 885 habe eine ortsteilverbindende Funktion und solle auch den überregionalen Verkehr aufnehmen. Zur Verhinderung eventuell bestehender Gesundheitsbeeinträchtigungen kämen andere Maßnahmen, wie zum Beispiel passive Lärmschutzmaßnahmen am Gebäude, in Betracht. Die Gebührenerhebung sei rechtmäßig. Gemäß § 6 a Abs. 1 a StVG würden Kosten unter anderem für Amtshandlungen nach dem Straßenverkehrsgesetz und nach den auf diesem Gesetz beruhenden Rechtsvorschriften erhoben. Die StVO sei eine solche Rechtsvorschrift. Die Prüfung eines Antrags auf verkehrsregelnde Maßnahmen gem. § 45 Abs. 1 StVO sei eine solche Amtshandlung. Die Bestimmung der Gebührensätze nach der StVO sei entsprechend § 6 a Abs. 2 StVG mit der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Kläger haben keinen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrages auf Durchführung verkehrsbeschränkender Maßnahmen an der Straße P. in N. . Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 23. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten i. S. v. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Die Gebührenerhebung ist ebenfalls rechtmäßig.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrages vom 25. November 2015 auf Durchführung verkehrsbeschränkender Maßnahmen an der Straße P. in N. gem. § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 und Abs. 9 StVO. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ermessensentscheidung über den Antrag der Kläger sind zwar erfüllt (dazu I.). Die Beklagte hat den Antrag der Kläger aber ermessensfehlerfrei abgelehnt (dazu II.).

I. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Nach § 45 Abs. 9 StVO kommt eine den fließenden Verkehr beschränkende Anordnung nur in Betracht, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage für die in § 45 StVO geschützten Rechtsgüter besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsbeeinträchtigung erheblich übersteigt.

§ 45 Abs. 1 StVO ist grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit gerichtet. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass der Einzelne einen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde gerichteten Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten hat, wenn eine Verletzung seiner geschützten Individualinteressen in Betracht kommt. Die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 StVO umfassen nicht nur die Grundrechte wie körperliche Unversehrtheit und Eigentum. Dazu gehört auch der Schutz vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen, insbesondere soweit § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO Anordnungen zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen vorsieht,

vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76/84 -,Juris, Rdnr. 10; OVG NRW, Urteil vom 21. Januar 2003- 8 A 4230/01 -, Juris, Rn. 5, Urteil vom 1. Juni 2005- 8 A 2350/04 -, Juris, Rdnr. 30.

Ein Einschreiten zum Schutz vor Verkehrslärm setzt nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO nicht voraus, dass ein bestimmter Schallpegel überschritten wird; maßgeblich ist vielmehr, ob der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Die Grenze des billigerweise zumutbaren Verkehrslärms ist nicht durch gesetzlich bestimmte Grenzwerte festgelegt,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, Juris, Rn. 9, Urteil vom 1. Juni 2005 - 8 A 2350/04 -, Juris, Rn. 32.

Die Vorschriften der 16. BImSchV finden bei der Beurteilung der zumutbaren Lärmbelästigung im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO zwar nicht unmittelbar Anwendung. Diese Verordnung bestimmt die Schwelle der Zumutbarkeit von Verkehrslärm nur für den Bau und die wesentliche Änderung u.a. von öffentlichen Straßen. Die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV können aber im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Orientierungshilfe herangezogen werden, weil sie ganz allgemein die Wertung des Normgebers zum Ausdruck bringen, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion anzunehmen ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 11 C 45/92 -, Juris, Rdnr. 30; OVG NRW, Urteil vom 21. Januar 2003- 8 A 4230/01 -, Juris, Rdnr. 10.

Allerdings folgt für den Einzelnen aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch dann grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn die Lärmbeeinträchtigungen so intensiv sind, dass sie im Rahmen einer Planfeststellung Schutzauflagen auslösen würden. Denn bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Verhältnisse nur um den Preis gebessert werden können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten. Im Ergebnis würde sich die Gesamtsituation verschlechtern, wenn die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt oder wegen Änderungen von Verkehrsströmen noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen von Anliegern anderer Straßen drohen würden. Die Straßenverkehrsbehörde darf von Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegen gewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen entgegenstehende Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese verkehrsberuhigende oder verkehrslenkende Maßnahmen unterbleiben. Bei Lärmpegeln, die die in den Lärmschutz-Richtlinien-StV aufgeführten Richtwerte - in Wohngebieten 70 dB (A) tags und 60 dB (A) nachts - überschreiten, kann sich das Ermessen der Behörde zur Pflicht zum Einschreiten verdichten; eine Ermessensreduzierung auf Null ist aber auch dann nicht zwangsläufig gegeben,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, Juris, Rdnr. 16.

Daraus ergibt sich zusammenfassend Folgendes:

Werden die Grenzwerte der 16. BImSchV in einem allgemeinen Wohngebiet von 59 dB (A) tags und 49 dB (A) nachts nicht überschritten, besteht regelmäßig schon kein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO.

Bei Überschreitung der Grenzwerte der 16. BImSchV sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Straßenverkehrsbehörde erfüllt und die Behörde hat unter Gebrauch ihres Ermessens über Beschränkungen des fließenden Verkehrs zu entscheiden bzw. ist bei einem entsprechenden Antrag zu einer Ermessensentscheidung verpflichtet.

Werden jedoch die Werte nach den Lärmschutz-Richtlinien-StV in einem allgemeinen Wohngebiet von 70 dB (A) tags und 60 dB (A) nachts überschritten, kann es zu einer Verdichtung des der Behörde eingeräumten Ermessens des Inhalts kommen, dass ein Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde geboten ist.

Im vorliegenden Fall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung der Beklagten über den Antrag der Kläger auf Durchführung verkehrsbeschränkender Maßnahmen erfüllt, denn an dem im einem allgemeinen Wohngebiet liegenden Wohnhaus der Kläger werden die Grenzwerte der 16. BImSchV von 59 dB (A) tags und 49 dB (A) nachts überschritten.

II. Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 23. März 2016 und ihrem Vorbringen im Klageverfahren, mit dem sie ihre Ermessenserwägungen in zulässiger Weise ergänzt hat (vgl. § 14 S. 2 VwGO), den Antrag der Kläger ermessensfehlerfrei abgelehnt.

Bei der Entscheidung über die Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen hat die zuständige Behörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sowohl die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen der Anlieger in Rechnung zu stellen, von übermäßigem Lärm verschont zu bleiben.

Bei der Prüfung, ob und gegebenenfalls welche verkehrsregelnden Anordnungen im Einzelfall geboten sind, ist auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit sowie auf das Vorhandensein bzw. das Fehlen einer Lärmvorbelastung abzustellen. Maßgeblich sind auch andere Besonderheiten des Einzelfalles. Von Bedeutung für die Bewertung der Zumutbarkeit des Lärms ist dabei insbesondere, ob der ihn auslösende Verkehr die betroffenen Straßen funktionsgerecht oder funktionswidrig in Anspruch nimmt. Dabei ist auch zu beachten, dass Verkehrslärm, der von den Anliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt) oder auch einer Landesstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss, den Anliegern einer Ortserschließungsstraße nicht ohne Weiteres in gleicher Weise zumutbar ist. Zudem kann auch im Rahmen der Entscheidung über Lärmsanierung durch verkehrsregelnde Maßnahmen der Gesichtspunkt berücksichtigt werden, inwieweit der verkehrsbedingten Immissionsbelastung durch passive Lärmschutzmaßnahmen, insbesondere Lärmschutzfenster mit geeigneten Lüftungseinrichtungen, begegnet wird.

Vgl. OVG, NRW, Urteil vom 1. Juni 2005 - 8 A 2350/04 -, Juris, Rdnr. 53 ff.

Das Gericht ist bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung nicht befugt, die Entscheidung der Behörde umfassend zu überprüfen. Gem. § 114 S.1 VwGO hat das Gericht zu prüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dabei ist maßgeblich, ob die Behörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, alle maßgeblichen Umstände in ihre Entscheidung eingestellt und sie entsprechend dem ihnen zukommenden Gewicht bewertet, die Entscheidung sachgerecht begründet und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat.

Ausgehend hiervon sind Ermessensfehler in der Entscheidung der Beklagten nicht festzustellen.

Die Beklagte ist bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und hat alle maßgeblichen Umstände in ihre Ermessenserwägungen einbezogen.

Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der vom Verkehr verursachte Lärm am Wohnhaus der Kläger die für Wohngebiete geltenden Grenzwerte der 16. BImSchV von 59 dB(A) tags und 49 dB(A) nachts überschreitet, die für Wohngebiete geltenden Grenzwerte der Lärmschutz-Richtlinien-StV von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts dagegen nicht erreicht. Die für die Berechnung der Lärmwerte verwendeten Parameter begegnen keinen Bedenken. Die der Berechnung zugrunde gelegte durchschnittliche Verkehrsmenge von ca. 9.500 Fahrzeugen am Tag ist zwar angesichts der aktuellen Entwicklung geringfügig zu niedrig angesetzt. Die Beklagte hat aber berücksichtigt, dass sich die aus dem Jahre 2010 stammenden Verkehrsdaten durch die neue Autobahnanschlussstelle N. -I. in der Folgezeit auf über 13.000 Fahrzeuge am Tag erhöht haben, dadurch aber keine wesentliche Veränderung der Lärmbelastung eingetreten ist, denn selbst bei einer Verdoppelung des ursprünglich angenommenen Verkehrs auf ca. 19.000 Fahrzeuge würden mit Lärmpegeln von 66,8 dB(A) am Tag sowie 58,5 dB(A) nachts die Grenzwerte der Lärmschutz-Richtlinien-StV nicht überschritten.

Entgegen der Argumentation der Kläger liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Anteil des LKW-Verkehrs signifikant erhöht haben könnte. Die in den Jahren 2013, 2014 und 2016 durchgeführten Verkehrszählungen lassen einen solchen Schluss nicht zu. Vielmehr hat sich der Anteil des LKW-Verkehrs bei den Verkehrszählungen in den Jahren 2014 und 2016 gegenüber den Zählungen im Jahre 2013 sogar verringert. Während der LKW-Anteil (einschließlich Lastzüge) bei den Verkehrszählungen im Jahre 2013 in den begutachteten Stunden den Höchstwert von 2,4 Prozent erreichte, lag der Höchstwert des LKW-Anteils bei den Zählungen am 11. September 2014 sowie am 27. Januar 2016 in den jeweils begutachteten Stunden bei 2,1 Prozent.

Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung alle relevanten Belange entsprechend dem ihnen zukommenden Gewicht bewertet und eine sachgerechte Abwägung vorgenommen. Ihre Entscheidung, den Interessen der Verkehrsteilnehmer Vorrang vor den Interessen der Kläger einzuräumen, ist nicht zu beanstanden.

Die Beklagte ist davon ausgegangen, dass für die Kläger der durch den Verkehr verursachte Lärm eine nicht unerhebliche Belastung darstellt. Sie hat die mögliche Gefahr von Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Verkehrslärm bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, dieser Gefahr aber nicht ein Gewicht beigemessen, das die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung erfordert. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, nach Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung, wonach bei einer Dauerbelastung mit Mittelungspegeln mit mehr als 65 dB(A) tags und mehr als 55 dB(A) nachts das Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen zunehme, bestehe für sie eine Gesundheitsgefährdung. Zwar werden diese Lärmwerte am Wohnhaus der Kläger ausweislich der Berechnungen in etwa erreicht. Die Kläger müssten aber nur dann eine Gesundheitsgefahr befürchten, wenn sie einer solchen Lärmeinwirkung dauerhaft ausgesetzt wären. Davon kann bei lebensnaher Betrachtung aber nicht ausgegangen werden, denn die Kläger halten sich nicht permanent vor ihrem Haus bzw. in den zur Straße ausgerichteten Räumen bei ständig geöffnetem Fenster auf. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung Innenraumpegel nicht berücksichtigt hat. Entgegen der Argumentation der Kläger stellt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12. April 2000 (11 A 18/98) nicht auf einen Innenraummaximalpegel, sondern auf einen Dauerschallpegel im Innenraum ab, der einen Wert von 30 bis 35 dB(A) am Ohr einer schlafenden Person nicht überschreiten sollte. Diese Werte lassen sich durch das Schließen der Fenster zur Nachtzeit ohne weiteres erreichen. Selbst alte Fenster führen zu einer Schalldämmung von ca. 25 dB(A). Einfachfenster mit Isolierverglasung haben eine Schalldämmung von gut 30 dB(A) (vgl. Wolf-Dietrich Kötz: Baulicher Schallschutz gegen Verkehrslärm, www.staedtebaulichelaermfibel.de/pdf/S-Fenster.pdf).

Demgegenüber hat die Beklagte den Gesichtspunkten, die gegen die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung sprechen, in nicht zu beanstandender Weise Vorrang vor den Interessen der Kläger eingeräumt. Dabei hat sie berücksichtigt, dass die Grenzwerte der Lärmschutz-Richtlinien-StV von 70 dB (A) tags und 60 dB (A) nachts am Wohnhaus der Kläger nicht erreicht werden. Vor allem hat die Beklagte die Ablehnung der Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung mit der Verkehrsfunktion der Straße P. begründet. Nach den Lärmschutz-Richtlinien-StV ist bei der Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen außerhalb geschlossener Ortschaften auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, und Landes- und Kreisstraßen) stets die besondere Verkehrsfunktion der jeweiligen Straße zu bedenken. Der Straße P. kommt als Landesstraße nicht nur eine ortsteilverbindende Funktion zu, sondern sie soll auch den überregionalen Verkehr aufnehmen. Die Beklagte hat zutreffend darauf abgestellt, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung dieser Verkehrsfunktion entgegensteht. Die Beklagte hat auch zu Recht berücksichtigt, dass die Kläger deshalb weniger schutzwürdig sind, weil ihre Terrassenanlage sowie ihr Garten auf der der Straße abgewandten Seite liegen und somit der Ruhebereich auf dem Grundstück weniger durch Lärm beeinträchtigt wird als die zur Straße ausgerichtete Seite des Grundstücks.

Die mit dem Bescheid erfolgte Gebührenfestsetzung beruht auf § 6 a Abs. 1 Nr. 1 a und Abs. 2 StVG i. V. m. der Gebührennummer 399 der Anlage zu § 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Nach § 6 a Abs. 1 Nr. 1 a StVG werden Gebühren und Auslagen erhoben für Amtshandlungen, einschließlich Prüfungen und Überprüfungen im Rahmen der Qualitätssicherung, Abnahmen, Begutachtungen, Untersuchungen, Verwarnungen - ausgenommen Verwarnungen im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - und Registerauskünften nach dem Straßenverkehrsgesetz und nach den auf diesem Gesetz beruhenden Rechtsvorschriften. Darunter fällt auch eine Entscheidung der Behörde über einen Antrag auf Anordnung verkehrsbeschränkender Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO. Nach der Gebührennummer 399 der Anlage zu § 1 GebOSt können für andere als die in Abschnitt G (sonstige Maßnahmen auf dem Gebiet des Straßenverkehrs) gesondert aufgeführten Maßnahmen Gebühren nach den Sätzen für vergleichbare Maßnahmen oder, soweit solche nicht bewertet sind, nach dem Zeitaufwand mit 12,80 Euro je angefangene Viertelstunde Arbeitszeit erhoben werden. Bei einer Arbeitszeit von einer Stunde für die Bearbeitung des Antrages der Kläger ergibt sich ein Betrag in Höhe von 51,20 Euro. Die festgesetzte Gebühr i. H. v. 48,75 Euro liegt darunter und verletzt die Kläger somit nicht in ihren Rechten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.