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VG Schwerin, Beschluss vom 17.05.2019 - 7 B 899/19

Rubrum

VERWALTUNGSGERICHT SCHWERIN

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

der A-Partei - Landesverband Mecklenburg-Vorpommern,

A-Straße, A-Stadt

Proz.-Bev.:

Rechtsanwalt B.t B-Straße, B-Stadt

— Antragstellers —

gegen

den Bürgermeister der Stadt C-Stadt,

C-Straße, C-Stadt

— Antragsgegner —

wegen Ordnungsverfügung zur Entfernung von Wahlplakaten hier: einstweiligen Rechtsschutzes

hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Schwerin am

17. Mai 2019

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ... und den Richter am Verwaltungsgericht ... beschlossen:

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Vollziehbarkeit einer Ordnungsverfügung mit Androhung der Ersatzvornahme.

Nach seinem Vorbringen setzt er bei seiner Wahlwerbung für die Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 ebenso wie die übrigen Gliederungen der Bundespartei einheitliche Wahlplakate u. a. der vom Antragsgegner beanstandeten Art durch Anbringung im öffentlichen Straßenraum ein. Diese Plakate sind mit einer schwarz-weiß-roten, unter ausschließlicher Verwendung von Großbuchstaben ausgeführten Schriftgrafik gestaltet: In einem größeren, schwarz unterlegten Feld auf der linken Seite ist in roter Schrift ausgeführt: „Stoppt die Invasion:“ Es folgt in gleicher Breite auf zwei Zeilen in sich zeilenweise steigernder Schriftgröße in weißer Schrift die Aussage: „Migration tötet!“. Im rechts anschließenden, rot unterlegten Feld ist — unter einem kreisförmigen Signet mit der Abkürzung der Bundespartei — in weißer Schrift auf zwei Zeilen der Aufruf angebracht: „Widerstand —jetzt —“. Auf dem linken, schwarz unterlegten Feld sind „hinter“ der rot-weißen Losung in grauer Schrift auf schräg verlaufenden Zeilen, die über den Rand des Feldes reichen, z. T. fragmentarisch die Namen von etwa 20 deutschen Städten und Ortschaften aufgeführt, jeweils durch ein Kreuz-Zeichen (t) voneinander getrennt.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2019 verfügte der Antragsgegner unter — gesondert begründeter— Anordnung der sofortigen Vollziehung (Tenorpunkt 2.) die Aufforderung an den Antragsteller, sämtliche Wahlplakate der A-Partei, die die Aufschrift „Migration tötet“ trügen, im gesamten Stadtgebiet „nebst den Ortsteilen“ bis zum 20. Mai 2019 zu entfernen (Tenorpunkt 1.); ferner drohte er ihm für den Fall der nicht fristgerechten Befolgung der genannten Anordnung den Verwaltungszwang im Wege der Ersatzvornahme an, wobei deren Kosten voraussichtlich 10 € je Plakat betrügen (Tenorpunkt 3.). Es seien zwei Plakate in der oben beschriebenen Ausführung in der C-Städter D-Stadt festgestellt worden; deren Inhalt erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung und stelle damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, die nicht hingenommen werden könne.

Der Antragsteller legte hiergegen am 17. Mai 2019 Widerspruch ein. Gleichzeitig hat er sich mit dem vorliegenden Eilantrag an das beschließende Gericht gewandt. Er beantragt in der Antragsschrift,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 17. Mai 2019 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 16. Mai 2019 hinsichtlich Ziffer 1. wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer 3. anzuordnen.

Der Antragsgegner regt schriftsätzlich an,

den Antrag abzulehnen,

und verteidigt seine Entscheidung, die auch ein Vorgehen gegen eine — wegen des Strafrechtsverstoßes — nicht durch seine einschlägige Allgemeinverfügung erlaubte Sondernutzung öffentlicher Straßen darstelle; sie belaste den Antragsteller im Übrigen kaum, da er seine Wahlplakate durch rechtlich unbedenkliche ersetzen könne.

Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Eilantrag ist zulässig, aber unbegründet und daher abzulehnen.

Im Sinne von § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - unternimmt er es, die wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 16. Mai 2019 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfallene aufschiebende Wirkung seines fristgemäßen Widerspruchs hiergegen wiederherstellen zu lassen. Mit Blick auf die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern - OVG M-V - vom 16. Dezember 2013 - 3 M 224/13 - (Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland - NordÖR - 2014, S. 182 [184]) und vom 3. Dezember 2007 -3 0 106/07 -(juris Rdnr. 3), wonach eine mit der Grundverfügung verbundene Zwangsgeldandrohung hinsichtlich ihrer Vollziehbarkeit deren Schicksal teilt (anders noch mit Hinweis auf § 99 Abs. 1 Satz 2 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes - SOG M-V - der Beschluss vom 19. Juni 1997 -3 M 115/96 -, NVwZ-RechtsprechungsReport 1997, S. 1027 [1029]), mag die prozessuale Vorschrift auch bezogen auf die Androhung des Zwangsmittels Ersatzvornahme anwendbar sein und auch insoweit die Wiederherstellung, nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs statthaft sein.

Dies mag aber auf sich beruhen, denn der in jedem Fall in der gebotenen statthaften Weise auslegbare Eilantrag bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Die Kammer hält es aufgrund der gebotenen eigenen Ermessensentscheidung nicht für angezeigt, an der Vollziehbarkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung etwas zu ändern. Dies ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der Verfügung einstweilen verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an deren Umsetzung. Letzteres überwiegt in umso stärkerem Maße, je aussichtsloser sich der gegen die Verfügung gerichtete Rechtsbehelf darstellt. So liegt es hier. Im Streitfall sind nämlich Erfolgsaussichten des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs bei der gebotenen summarischen Betrachtung nicht in hinreichendem Maße erkennbar, um seinem Aufschubsinteresse ein berücksichtigungsfähiges Gewicht zu verleihen; denn der angegriffene Bescheid erscheint als rechtmäßig.

Soweit der Antragsteller rügt, dass die streitgegenständliche Verfügung ohne seine vorherige Anhörung ergangen sei, könnte dies allein dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen, da selbst eine unter Verstoß gegen § 28 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes -VwVfG M-V - unterbliebene Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG M-V mit der Folge einer Unbeachtlichkeit des Verstoßes nachgeholt werden könnte; etwa das anhängige Widerspruchsverfahren gibt dem Antragsteller Gelegenheit, dem Antragsgegner seine Sicht der Dinge vorzutragen. Für die Frage, ob das streitgegenständliche ordnungsbehördliche Einschreiten zu Recht erfolgte, kommt es auf einen Vortrag des Antragstellers zu möglichen „Deutungsvarianten“ der Aussage der beanstandeten Plakate indessen ohnehin nicht an, da die Gefahr, gegen die der Antragsgegner einschreiten will, sich gerade in der unkommentierten Aussagewirkung der sich als solche an die Öffentlichkeit und Wählerschaft richtenden Schriftgrafiken manifestiert.

Der Antragsgegner als nach § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 2 Satz 1 und § 5 Abs. 1 SOG M-V zuständige örtliche Ordnungsbehörde zog zu Recht § 13 SOG M-V als Rechtsgrundlage für seine ordnungsrechtliche Verfügung heran; eine spezialgesetzliche Regelung ordnungsrechtlicher Eingriffsbefugnisse für die hier in Rede stehende rechtliche Materie ist nicht ersichtlich (vgl. zu einem Parallelfall den Beschluss des OVG M-V vom 19. September 2009 - 3 M 155/09 -, NordÖR 2010, S. 116 f.), und der Antragsgegner konnte, wie geschehen, unabhängig von den in seiner Allgemeinverfügung zur Regelung der Wahlwerbung vom X. Januar 2019 nach Straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften konkretisierten rechtlichen Rahmenbedingungen auch auf ordnungsrechtlicher Grundlage einschreiten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 SOG M-V sind nämlich erfüllt. Die genannte Vorschrift ermächtigt die Ordnungsbehörden, im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwenden.

Durch die Verwendung der beschriebenen Plakate wird jedenfalls die öffentliche Sicherheit gestört, weil fortlaufend gegen ein Strafgesetz verstoßen wird.

Hierbei handelt es sich jedenfalls um § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst, c des Strafgesetzbuches - StGB -. Nach dieser Vorschrift ist strafbar, wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, die die Menschenwürde von in Buchstabe a der Vorschrift genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden. Bei den genannten Personen oder Personenmehrheiten kann es sich um eine in § 130 Abs. 1 Nr. 1 bezeich-nete, also nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, um Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen (wegen seiner Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe) handeln.

Zur Überzeugung der Kammer greift der Antragsteller durch die Plakatierungen die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Ausländer — insbesondere der seit dem Jahr 2015 nach Deutschland gekommenen — und damit einen Teil der Bevölkerung im Sinne der Strafvorschrift (vgl. den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 2019 - 2 B 10639/19 -, juris Rdnr. 10 m. w. Nachw.) an und verleumdet sie.

Denn es ist aus dem Inhalt des Plakats ersichtlich, dass es — wie auch der Antragsteller in seiner Diktion einräumt — den „Kausalzusammenhang zwischen der illegalen Grenzöffnung im September 2015 und der seitdem erfolgten zahlenmäßigen Zunahme der Opfer, die von kriminellen Migranten seit diesem Zeitpunkt an den auf dem Plakat enumerate aufgeführten Orten verletzt bzw. getötet wurden“ thematisiert. Diese geschieht allerdings nicht zur Versinnbildlichung der banalen Schlussfolgerung, dass „Migration es mit sich [bringe], dass Menschen durch kriminelle Migranten getötet werden“. Vielmehr wird das Migrationsgeschehen verabsolutierend als tödlicher Vorgang bezeichnet, wobei es mit einer „Invasion“ gleichgesetzt wird, die zu „stoppen“ und gegen die — jetzt — „Widerstand“ zu leisten sei. Die Tödlichkeit der „Invasion“ „belegt“ die Reihe der mit makabrer Symbolik aufgelisteten, großenteils unter diesem Gesichtspunkt aus der Medienberichterstattung überregional bekannten Orte, an denen im letzten halben Jahrzehnt durch Personen mit Migrationshintergrund Kapitalverbrechen, auch gar Terroranschläge begangen wurden oder derartige Vorwürfe im Raum stehen, wobei die Eindringlichkeit der Medienberichterstattung auch zur Ursache hatte, dass Rechtsextremisten die Straftaten mit „Mahnwachen“ und migrationsfeindlichen Demonstrationszügen zu Anknüpfungspunkten ihrer Agitation machten. Jedermann leuchtet nach Überzeugung der Kammer unmittelbar ein, dass das Plakat die „invasive“ Migration als Ursache der Straftaten darstellt, die gerade wegen der Agitation mit den Ortsnamen, die jedermann zumindest teilweise in diesem Zusammenhang geläufig sind, bezeichnet werden.

Diese Gleichsetzung von Migration und Mordgeschehen geht über eine bloße „Zuschreibung krimineller Neigungen“ weit hinaus und verletzt die Menschenwürde der unterschiedslos als Teilnehmer der „Invasion“ diffamierten, im Rahmen des aktuellen Migrationsgeschehens nach Deutschland eingereisten Ausländer.

Dieses Mittel wird vom Antragsteller auch vorsätzlich eingesetzt, um eine eventuelle Anhängerschaft zu mobilisieren — wenn sich das Plakat auch nicht eindeutig als Wahlaufruf deuten lässt. Es mag dahinstehen, ob, wegen des Aufrufs zum „Widerstand — jetzt“, auch der Tatbestand des § 130 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Ungeachtet der vorgetragenen Behandlung einer vergleichbaren Angelegenheit durch die sächsischen Strafverfolgungsbehörden ist die Kammer jedenfalls von der Gebotenheit des Vorgehens gegen eine Straftat der Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB überzeugt, da diese offenkundig vorliegt.

Ein Ermessensverstoß des Antragsgegners bei seinem Vorgehen ist nicht ersichtlich.

Die für den Fall der Nichtbefolgung der Ordnungsverfügung angedrohte Ersatzvornahme wäre nach § 89 SOG M-V zulässig und wurde ohne erkennbaren Rechtsfehler als Zwangsmittel ausgewählt; die Androhung allein von Zwangsgeldern für einen Verstoß gegen Strafgesetze durch Plakatierungen in der genannten Allgemeinverfügung vom X. Januar 2019 steht der Auswahl des andersartigen, möglicherweise geeigneteren Zwangsmittels nicht entgegen. Seine Androhung entspricht den Voraussetzungen gemäß § 87 SOG M-V und gab dem Antragsteller insbesondere eine hinreichend lange Erfüllungsfrist im Sinne von Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift, durch deren Nutzung er das Zwangsmittel abwenden kann.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterliegenden Antragstellers ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2 und 8 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.