OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2015 - OVG 9 B 31.15
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. März 2012 geändert. Der Straßenbaubeitragsbescheid der Beklagten vom 12. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 wird in Höhe von 177,74 Euro aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die zweitinstanzlich entstandene Verfahrensgebühr für den Prozessbevollmächtigten des Klägers tragen die Kläger zu 4/5, die Beklagte zu 1/5. Im Übrigen tragen die Kläger die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens, die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 710,94 Euro, für das Berufungsverfahren auf 177,74 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Den Klägern gehört ein Grundstück in der K... in Brandenburg an der Havel. Im Jahr 2006 ließ die Beklagte die Straßenbeleuchtung erneuern. Die Abnahme erfolgte im Dezember 2006. Mit Bescheid vom 12. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 zog die Beklagte die Kläger zu einem Straßenbaubeitrag von 888,68 Euro heran. Der Abrechnung lag eine Einordnung der K... als "überwiegend dem Anliegerverkehr dienende Straße" mit einem Anliegeranteil für die Beleuchtung von 75 % zu Grunde.
Mit Urteil vom 19. März 2012 hat das Verwaltungsgericht die gegen die Beitragserhebung gerichtete Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom 11. Juni 2015 hat der erkennende Senat die Berufung betreffend einen Teilbetrag von 177,74 Euro zugelassen, im Übrigen den Berufungszulassungsantrag der Kläger zurückgewiesen.
Mit ihrer Berufung machen die Kläger geltend, die Straße sei als "Straße mit starkem innerörtlichen Verkehr" mit einem Anliegeranteil von nur 60 % für die Beleuchtung einzuordnen.
Die Kläger beantragen,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und den Straßenbaubeitragsbescheid vom 12. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 in Höhe von 177,74 Euro aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Straße für eine überwiegend dem Anliegerverkehr dienende Straße.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
1. Nach Anhörung der Beteiligten entscheidet der Senat gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss über die Berufung, weil er sie einstimmig für begründet erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Es geht nur noch um einen Teilbetrag von 177,74 Euro. Insoweit ist zwischen den Beteiligten allein strittig, ob die Klosterstraße als "überwiegend dem Anliegerverkehr dienende Straße" oder als "Straße mit starkem innerörtlichen Verkehr" im Sinne des § 3 Abs. 2 der Straßenbaubeitragssatzung der Stadt Brandenburg an der Havel in der Fassung der Änderungssatzung vom 12. Oktober 2004 (im Folgenden: SBS 2003) einzuordnen ist. Die diesbezüglichen Argumente sind ausgetauscht. Auch der von der Beklagten angeregte Ortstermin lässt insoweit keine entscheidungserheblichen neuen Erkenntnisse erwarten, nachdem für die Einordnung der Straße in eine der beiden genannten satzungsrechtlichen Straßenkategorien zeitlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht abzustellen ist (vgl. Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 KAG NRW, 8. Auflage 2013, Rdnr. 490), hier also auf den Dezember 2006 als Zeitpunkt der Abnahme (vgl. dazu: Becker, in: Becker, KAG Bbg, Stand Aug. 2011, Rdnr. 334 zu § 8 KAG).
2. Die hinsichtlich des Teilbetrages von 177,74 Euro zugelassene Berufung ist begründet. Die Klosterstraße ist aus der zeitlichen Sicht des Dezember 2006 als Straße mit starkem innerörtlichen Verkehr im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 SBS 2003 und nicht als überwiegend dem Anliegerverkehr dienende Straße im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 SBS 2003 einzuordnen.
12a) Eine Straße mit starkem innerörtlichen Verkehr im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 SBS 2003 muss nicht notwendigerweise eine hohe Verkehrsbelastung aufweisen. Vielmehr zählen zu dieser Straßenkategorie auch Straßen, die zwar vergleichsweise schwach frequentiert sind, aber gleichwohl weder überwiegend dem Anliegerverkehr noch überwiegend dem Durchgangsverkehr, sondern beiden Verkehrsarten in etwa in gleichem Umfang dienen. Neben einigen hier nicht interessierenden Sondertypen von Straßen (Nr. 4: Wirtschaftswege; Nr. 5: Fußgängerstraßen; Nr. 6: Gemeindeverbindungsstraßen; Nr. 7: Feld- und Waldwege) unterscheidet § 3 Abs. 2 SBS 2003 drei grundlegende Straßentypen (Nr. 1: Straßen, die überwiegend dem Anliegerverkehr - Wohnstraßen - dienen; Nr. 2: Straßen mit starkem innerörtlichen Verkehr; Nr. 3: Straßen, die überwiegend dem Durchgangsverkehr dienen). Damit wird insgesamt ein lückenloses System gebildet. Nachdem die Nummern 1 und 3 maßgeblich auf das Überwiegen des Anliegerverkehrs und des Durchgangsverkehrs abstellen, muss es in diesem System auch einen grundlegenden Straßentyp für einen etwa gleichgewichtigen Anlieger- und Durchgangsverkehr geben; das kann nur die Straße mit starkem innerörtlichen Verkehr im Sinne der Nr. 2 sein.
b) Für die Einordnung konkreter Straßen in eine der Straßenkategorien des § 3 Abs. 2 SBS 2003 ist abzustellen auf die Funktion der Straße, die ihr nach der Verkehrsplanung der Gemeinde im Straßennetz zukommen soll, auf den darauf beruhenden Ausbauzustand, auf die straßenverkehrsrechtliche Einordnung und - nachrangig und eher im Sinne eines nur bestätigenden Merkmals - auf die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 2015 - OVG 9 N 9.14 -, juris, Rdnr. 5; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage, § 34 Rdnr. 31).
Gerade danach hat die K... indessen zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (Dezember 2006) als zwar eher schwach frequentierte, aber in etwa gleichmäßig dem Anliegerverkehr und dem Durchgangsverkehr dienende Straße zu den Straßen mit starkem innerörtlichen Verkehr im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 SBS 2003 gehört. Dem steht nicht entgegen, dass die Stadt die Straße in ihrer Verkehrsplanung als Anliegerstraße vorgesehen und auch nur entsprechend ausgebaut haben will. In Bezug auf den Ausbauzustand hat sie sich dabei ersichtlich an dem erwarteten, insgesamt nur schwachen Verkehr orientiert, was nicht zu beanstanden ist. Was die Funktion der Straße im Verkehrsnetz der Stadt angeht, kann selbst eine förmliche Bezeichnung als Anliegerstraße indessen nicht die Lage der Straße im Straßennetz und die straßenverkehrsrechtlichen Regelungen im betreffenden Bereich, insbesondere die Einbahnstraßenregelungen, überwinden. Danach hat die K... indessen im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht (Dezember 2006) eine für den Autoverkehr alternativlose Verbindung zum J... mit seinen öffentlichen Stellplätzen, zur S...a..., zum öffentlichen Parkplatz jenseits der J... und auch zu Teilen der R... dargestellt. Es besteht kein Anhalt dafür, dass der diesbezügliche Verkehr, der für die K... Durchgangsverkehr darstellt, hinter dem Anliegerverkehr in der K... zurückgeblieben wäre. Das gilt auch unter Einbeziehung des Verkehrs zur Stadtverwaltung in der K... Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. März 2012 (S. 9) sogar die Ansicht geäußert, nach dem Ergebnis seines Ortstermins spreche einiges dafür, dass die Zahl der durchfahrenden Fahrzeuge den Anliegerverkehr übersteige, das aber mit dem Argument für unbeachtlich gehalten, dass die Verkehrsarten auch bei der Einordnung der Straße zu einem Straßentyp wirtschaftlich zu gewichten seien (vgl. auch S. 7). Das überzeugt nicht. Die wirtschaftliche Gewichtung der Verkehrsarten hat vielmehr (nur) bei der Festlegung des Anlieger- und Gemeindeanteils an den Ausbaukosten für einen bestimmten satzungsmäßigen Straßentyp ihren Platz (vgl. OVG NW, Beschluss vom 22. Januar 2009 - 15 A 3137/06 -, OVGE MüLü 51, 253, juris, Rdnr. 11 ff.). Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass die beiden genannten Parkplätze inzwischen entfallen seien und straßenverkehrsrechtliche Regelungen jederzeit geändert werden könnten, ist darauf hinzuweisen, dass die mit dem Straßenbaubeitragsrecht beabsichtigte Beteiligung der Anlieger an den Ausbaukosten (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG) nach klaren, handhabbaren Kriterien erfolgen muss. Dem dient nicht zuletzt der Umstand, dass der Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht rechtlich als maßgeblicher Zeitpunkt für eine Reihe von beitragsrelevanten Umständen angesehen wird. Spätere Entwicklungen oder gar nur Entwicklungsmöglichkeiten sind insoweit nicht von Belang. Ob ausnahmsweise anderes gelten kann, wenn sie im Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht bereits sicher abzusehen sind, bedarf hier keiner Klärung; derartiges ist hier für einen Wegfall der Parkplätze und eine Änderung der Einbahnstraßenregelungen nicht einmal ansatzweise vorgetragen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie berücksichtigt neben dem jeweiligen Maß des Unterliegens der Beteiligten in der Sache auch den Umstand, dass die Sachentscheidung im zweitinstanzlichen Verfahren teilweise im Berufungszulassungsverfahren und teilweise im Berufungsverfahren getroffen worden ist und dass für diese Verfahrensstufen zum Teil unterschiedliche kostenrechtliche Regelungen gelten.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 GKG.