OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2019 - 16 B 1177/18
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Juli 2018 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG in der seit 5. Dezember 2014 (StVG n. F.) geltenden Fassung sei der Antragsgegner verpflichtet gewesen, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen, denn auf der Grundlage der durch das Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Entscheidungen habe sich für den Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Begehung der zeitlich letzten Ordnungswidrigkeit am 2. November 2017 ein Punktestand von acht Punkten ergeben, wird durch das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.
Der Einwand des Antragstellers, bei der Berechnung des Punktestands habe der Rotlichtverstoß am 8. November 2013 außer Betracht zu bleiben, weil er in Tateinheit mit der Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort begangen worden sei, greift nicht durch. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVG in der bis zum 30. April 2014 gültigen Fassung (StVG a. F.), die wegen des Zeitpunkts der Eintragung der diese Zuwiderhandlung ahndenden Entscheidung ins damalige Verkehrszentralregister Anwendung findet, liegen nicht vor. Danach wurde nur die Zuwiderhandlung mit der höchsten Punktzahl berücksichtigt, soweit durch eine Handlung mehrere Zuwiderhandlungen begangen wurden. Die Auslegung des Begriffs der "Handlung" in § 4 Abs. 2 Satz 2 StVG a. F. orientierte sich an dem Handlungsbegriff in §§ 52, 53 StGB und §§ 19, 20, 21 OWiG. § 4 Abs. 2 Satz 2 StVG a. F. betraf den Fall der tateinheitlich begangenen Zuwiderhandlungen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. März 2003 - 19 B 289/03 -, DAR 2003, 578 = juris, Rn. 6 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 18. Mai 2005 - 11 CS 05.321 -, juris, Rn. 17 ff.; Dauer, in: Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 4 StVG Rn. 22.
Insofern haben insbesondere die Fälle der natürlichen Handlungseinheit Bedeutung. Diese ist gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtung auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist und auf einer einheitlichen Willensbetätigung im Sinne derselben Willensrichtung beruht.
Vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 24 StVG Rn. 58 m. w. N.
Eine Verkehrsunfallflucht steht zu der in der vorausgegangenen schuldhaften Herbeiführung eines Verkehrsunfalls liegenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit in der Regel im Verhältnis der Tatmehrheit, weil die der Verkehrsunfallflucht vorausgehende Straftat oder Ordnungswidrigkeit bereits vollendet und beendet ist, wenn der Täter den Entschluss fasst und mit der Umsetzung des Entschlusses beginnt, sich durch Flucht den in § 142 StGB vorgesehenen Feststellungen zu entziehen.
Vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1961 - 4 StR 82/61 -, VRS 21 (1961), 113 (118); Himmelreich/Staub/ Krumm/Nissen, Verkehrsunfallflucht, 7. Auflage 2019, Rn. 392; siehe auch: Burmann, in: Burmann/ Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 142 StGB Rn. 41.
Davon ausgehend stehen auch im Fall des Antragstellers der Rotlichtverstoß und die anschließende Unfallflucht zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit. Dabei kann offen bleiben, ob in diesem Zusammenhang eine Bindung an die rechtliche Bewertung im Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 24. Februar 2014 besteht.
Vgl. zu einer Bindung nach § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG a. F. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Februar 2014 - 7 K 2154/13 -, juris, Rn. 36 ff.; zur früheren Rechtslage offen lassend: OVG NRW, Beschluss vom 14. März 2003 - 19 B 289/03 -, a. a. O., juris, Rn. 5 und Bay. VGH, Beschluss vom 18. Mai 2005
- 11 CS 05.321 -, juris, Rn. 16; vgl. zur Bedeutung einer solchen Entscheidung nunmehr § 4 Abs. 2 Satz 4 StVG in der ab 1. Mai 2014 gültigen Fassung sowie BT-Drucks. 17/12636, S. 39.
Dem Strafbefehl ist zu entnehmen, dass der Antragsteller am 8. November 2013 als Fahrer eines Pkw nach links in eine Straße einbog. Dabei missachtete er das Rotlicht einer Ampel und kollidierte mit einem anderen Fahrzeug. Anschließend entfernte sich der Antragsteller vom Unfallort, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Der Antragsteller hat also einen Rotlichtverstoß begangen, einen Unfall verursacht und sich anschließend entschlossen, den Unfallort zu verlassen. Nichts anderes ergibt sich aus der Schilderung des Antragstellers in der Beschwerdebegründung. Dass er nach dem Unfall weitergefahren ist, ohne anzuhalten, ändert nichts daran, dass er das Rotlicht bereits missachtet hatte, als er sich entschied, nach dem Unfall den Unfallort zu verlassen. Auch das Amtsgericht L. erkannte im Strafbefehl vom 24. Februar 2014 nicht auf Tateinheit. Durch den Strafbefehl ist gegen den Antragsteller wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Vergehen nach § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 44 StGB) und "wegen Ordnungswidrigkeit nach § 37 Abs. 2, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24, § 25 StVG; 132.2 BKat; § 4 Abs. 1 BKatV; § 19 OWiG" u. a. eine Geldstrafe festgesetzt und eine Geldbuße verhängt worden. Dem ist nicht zu entnehmen, dass hinsichtlich der Unfallflucht und des Rotlichtverstoßes auf Tateinheit entschieden wurde. Zwar ist § 19 OWiG zitiert. Dieser betrifft aber den Fall, dass dieselbe Handlung mehrere Gesetze verletzt, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Treffen Straftat und Ordnungswidrigkeit zusammen, die zueinander in Tateinheit stehen, wird nach § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG nur das Strafgesetz angewendet.
Vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 4 StR 209/11 -, DAR 2012, 390 = juris, Rn. 4.
Daraus, dass im Fall des Antragstellers jedoch das Strafgesetz sowie das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten angewendet wurden und folglich neben der Festsetzung einer Geldstrafe für die Unfallflucht auch eine Geldbuße für den Rotlichtverstoß verhängt wurde, ergibt sich, dass das Amtsgericht von Tatmehrheit ausgegangen ist. Dementsprechend ist der vom Antragsteller mit der Beschwerdebegründung in Kopie vorgelegten "Mitteilung an das Verkehrszentralregister vom 07.04.2014 10:31:09"
- unabhängig von der der Frage, welche Bedeutung ihr vorliegend zuzumessen ist - entgegen dem Vorbringen des Antragstellers eine Mitteilung mit dem Inhalt, es sei auf Tateinheit erkannt worden, nicht zu entnehmen. In den Zeilen "Tateinheit mit nicht reg.pflicht. Taten: Hinweis Tateinheit:" und "Tatmehrheit mit nicht reg.pflicht. Taten: Hinweis Tatmehrheit:" ist anders als in der Zeile "Verkehrsunfall" kein "X" oder ein sonstiger Eintrag zu finden.
Der Hinweis des Antragstellers auf eine unerlaubte Doppelbestrafung geht schon deshalb fehl, weil mit der Punktebewertung zum einen keine Bestrafung einhergeht und die Eintragungen zum anderen nach dem Vorstehenden nicht zu beanstanden sind.
Soweit der Antragsteller rügt, die Eintragung wegen des am 8. November 2013 begangenen Rotlichtverstoßes sei bereits am 24. Februar 2016 zu tilgen gewesen, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass die Tilgung dieser Eintragung bis zum Ablauf der Tilgungsfrist für die das unerlaubte Entfernen vom Unfallort betreffenden Eintragung gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG n. F. i. V. m. § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. gehemmt sei. Insbesondere zeigt der Antragsteller nicht auf, aus welchem Grund entgegen § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG n. F. hier § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG nicht in der alten, sondern in der wohl von ihm herangezogenen neuen Fassung zur Anwendung kommen soll.
Dass hier ausnahmsweise Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung bestehen oder dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers im Rahmen einer allgemeinen Interessenabwägung entgegen der gesetzlichen Wertung in § 4 Abs. 9 StVG der Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse einzuräumen wäre, legt der Antragsteller ebenfalls nicht dar. Seine Auffassung, es erschließe sich nicht, inwiefern hier im Einzelfall ein besonderes Risiko für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ausgehe, ist angesichts dessen, dass wegen mehrfacher von ihm begangener Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen sind, nicht nachvollziehbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 sowie § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).