Verkehrsrecht | Unfall | Kanzlei | Anwalt | Rechtsanwalt | Dieselskandal | Abgasskandal | Autokreditwiderruf | Frankfur
Die Verkehrsrechtskanzlei.
Urteile Verkehrsrecht_Anwalt Frankfurt Verkehrsunfall_ Anwaltskanzlei für Verkehr Frankfurt_ Anwalt Verkehrsrecht_ Anwalt Dieselskandal_ Anwalt Abgasskanda_ Anwalt Autokredit widerrufen.jpg

Urteile zum Verkehrsrecht

Rechtssprechung Datenbank

 

Suchen in unserer Urteilsdatenbank

In unserer Urteilsdatenbank finden Sie Rechtsprechung zum Thema Verkehrsrecht. Hier können Sie bestimmte Suchbegriffe eingeben und Ihnen werden die einschlägigen Urteile angezeigt.

 

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.03.2017 - 8 A 1256/14

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 9. Mai 2014 wird auf die Berufung des Klägers geändert.

Die in L. im nördlichen Teil der L1. I.----straße zwischen der Einmündung der H.--------straße und der Einmündung der T.-------straße angeordnete Radwegbenutzungspflicht wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die in seinem Wohnort L. im nördlichen Teil der L1. I.----straße zwischen der H.--------straße und der T.-------straße angeordnete Radwegbenutzungspflicht.

Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Erlass des angefochtenen Urteils wird entsprechend §130b Satz1 VwGO auf dessen Tatbestand Bezug genommen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9.Mai2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, aber unbegründet. Die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht sei rechtmäßig. Sie entspreche den Vorgaben des §45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 2 StVO. Aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehe eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen des § 45 StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteige. Die Verkehrsbelastung von rund 1.200 Kraftfahrzeugen in der Spitzenstunde liege am unteren Rand der Stufe III im Sinne der Ziffer 2.3.3 der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) 2010, deren Anwendung für bestehende Straßen empfohlen werde. Aufgrund von Umleitungsmaßnahmen sei eine Erhöhung der Verkehrsbelastung zu erwarten.

Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des §45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 2 StVO vorliegen sollten, habe die Beklagte ihr Ermessen nicht ausgeübt. Die ursprünglichen Anordnungen der Radwegbenutzungsflicht seien nicht mehr vorhanden. Die Beklagte habe auch im Klageverfahren ihr Ermessen hinsichtlich dieses Dauerverwaltungsakts nicht ausgeübt bzw. aktualisiert. Im Übrigen wäre eine Ermessensausübung auch fehlerhaft, da keine Unfallstatistiken ausgewertet worden seien.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

das angefochtene Urteil zu ändern und

die von der Beklagten in L. im nördlichen Teil der L1. I.----straße zwischen der Einmündung der T.-------straße und der Einmündung der H1.--------straße angeordnete Radwegbenutzungspflicht aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehe eine Gefahrenlage im Sinne des §45 Abs. 9 Satz 2 StVO. In dem 680 m langen Teilbereich der L1. I.----straße befinde sich eine 160 m lange tunnelartige Unterführung der Deutschen Bahn. Wegen der unterschiedlichen Lichtverhältnisse beim Ein- und Ausfahren komme es zu kurzfristigen optischen Irritationen, auch innerhalb des zweifach unterbrochenen Bauwerks. Gerade bei starker Verkehrsbelastung könne es dann zu gefährlichen Situationen für Fahrradfahrer kommen, welche die Fahrbahn mitbenutzen. Noch bis voraussichtlich Herbst 2017 würden durch die Großbaumaßnahme „Sanierung U.----------straße (B )“ Verkehrsströme auf die L1. I.----straße geleitet. Aus der Verkehrszählung des Jahres 2010 ergebe sich ein Schwerlastverkehr von über 16 % in der morgendlichen Spitzenstunde und von über 10 % in der Abendspitze. Nach einer polizeilichen Verkehrsunfallstatistik für die Jahre 2013 bis 2016 seien bei Unfällen mit Beteiligung von Fahrradfahrern sechs Radfahrer und ein Fußgänger verletzt worden, davon ein Schwerverletzter und sechs Leichtverletzte. Diese Daten belegten ein nicht unerhebliches Unfallgeschehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft1) Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet gemäß §130a Satz1 VwGO durch Beschluss über die Berufung, da er diese einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind nach §130a Satz2 in Verbindung mit §125 Abs.2 Satz3 VwGO gehört worden. Sie haben keine Einwände erhoben, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebieten.

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die zulässige Klage ist begründet.

Die von der Beklagten im nördlichen Teil der L1. I.----straße zwischen der Einmündung der H.--------straße und der Einmündung der T.-------straße angeordnete Radwegbenutzungspflicht ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen subjektiven öffentlichen Rechten (§113 Abs.1 Satz1 VwGO).

Dabei kann offenbleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des §45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 3 StVO vorliegen. Die Beklagte hat das von ihr in diesem Fall auszuübende Ermessen,

vgl. BVerwG, Urteile vom 23. September 2010 – 3 C 37.09 -, BVerwGE138, 21 = juris Rn. 35, und vom 18. November 2010 – 3 C 42.09 –, BVerwGE 138, 159 = juris Rn. 17, sowie Beschluss vom 16. April 2012 – 3 B 62.11 –, NJW2012, 3048 = juris Rn. 8,

über eine Anordnung der Radwegbenutzungspflicht nicht ausgeübt.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Erst-Anordnungen zur Ausschilderung der Zweirichtungsradwege müsste vor 1991 erfolgt sein und seien nicht auffindbar. Hinsichtlich dieses Vorgangs lässt sich daher eine (fehlerfreie) Ermessensausübung, für deren Vorliegen die Beklagte materiell beweisbelastet ist, nicht feststellen. Eine Ermessensausübung ist auch nicht der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Anordnung der Beklagten vom 16. Dezember 1996 zu entnehmen. Darin wurde nur die Aufstellung von mehreren Verkehrszeichen 237 im Sinne der Anlage 2 zur StVO angeordnet, weil der nördliche Geh- und Radweg „nur unvollständig ausgeschildert“ sei.

Im Übrigen war die Beklagte aufgrund des langen Zeitablaufs zwischen der spätestens 1991 erlassenen verkehrsrechtlichen Anordnung und dem im September 2012 gestellten Antrag des Klägers auf Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht einschließlich der in einem solchen Zeitraum regelmäßig auftretenden Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, z.B. des Verkehrsaufkommens, sowie der mit der Verordnung vom 7. August 1997 (BGBl I S. 2028) eingetretenen Rechtsänderung in Form der Einfügung des § 45 Abs. 9 StVO gehalten, die Rechtmäßigkeit dieses Dauerverwaltungsakts zu überprüfen und dabei (erneut) Ermessen auszuüben. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.

Mit Schreiben vom 26. März 2013 teilte sie dem Kläger auf dessen Antrag zwar mit, dass im streitbefangenen Abschnitt die Freigabe für den Zweirichtungsverkehr mangels der erforderlichen Breite aufgehoben werde. Zu den Gründen der im Übrigen fortbestehenden Radwegbenutzungspflicht verhält sich das Schreiben jedoch nicht; es enthält keine Ermessensausübung im Sinne einer Berücksichtigung aller relevanten Belange. Gleiches gilt für die zugrunde liegende Anordnung der Beklagten vom selben Tage.

Die Beklagte hat auch nicht während des gerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ihr Ermessen (zulässigerweise) ausgeübt bzw. ergänzt.

Die Klageerwiderung vom 22. Mai 2013 stellte eine Überprüfung der Benutzungspflicht bis Mitte des Jahres 2013 in Aussicht. Mit Schriftsatz vom 25. April 2014 teilte die Beklagte sodann mit, dass eine aktuelle Überprüfung der dortigen Verkehrssituation noch nicht vorgenommen worden sei. Eine Überprüfung sei erst sinnvoll, wenn laufende und noch geplante Baumaßnahmen, die erheblichen Einfluss auf das Verkehrsaufkommen hätten, beendet seien, womit etwa im Sommer 2016 zu rechnen sei. Weder diese Ausführungen, noch der Vortrag, es handele sich insgesamt nicht um einen Streckenabschnitt, auf dem die Radwegbenutzungspflicht offenkundig nicht erforderlich wäre, dieser umfasse einen 160 m langen Tunnel mit wechselnden Lichtverhältnissen, stellen eine Ermessensausübung dar, die alle betroffenen Belange gemäß dem Zweck des Gesetzes (§ 40 VwVfG NRW) berücksichtigt. Auch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ergibt sich nicht, dass die Beklagte dort ihr Ermessen ausgeübt bzw. ergänzt hätte.

Die Beklagte hat auch nicht im Verfahren auf Zulassung der Berufung oder im Berufungsverfahren eine zulässige Ermessensausübung bzw. -ergänzung vorgenommen. Ihre diesbezüglichen Schriftsätze vom 14. August 2014 und vom 1. März 2017 betreffen die Tatbestandsvoraussetzungen des §45 Abs. 9 Satz 3 StVO, verhalten sich aber nicht zu einer Ausübung des Ermessens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat orientiert sich an Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der

Fassung der am 31. Mai und 1. Juni 2012 sowie am 18. Juli 2013 beschlossenen

Änderungen.

Lukas Jozefaciuk