VG Düsseldorf, Beschluss vom 17.05.2017 - 14 L 1833/17
Eine Trennung zwischen Konsum und Fahren liegt nicht vor, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs einen THC-Wert von 1 ng/ml im Blutserum aufweist (nach OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 - juris).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 6781/17 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 13. März 2017 wiederherzustellen bzw. anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zulässig. Der erhobenen Klage kommt hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins wegen der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 Justizgesetz Nordrhein-Westfalen (JustG NRW) keine aufschiebende Wirkung zu.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt wiederherstellen bzw. anordnen, wenn bei einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies kommt dann in Betracht, wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus anderen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Die angefochtene Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 13. März 2017 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 3 C 26.07 -, Rn. 16, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 2. April 2012 - 16 B 356/12 -, Rn. 6, juris.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -). Hiernach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist u.a. derjenige regelmäßig zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet anzusehen, der gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht zwischen Konsum und Fahren trennen kann. Aus welchen Gründen der Fahrerlaubnisinhaber Cannabis konsumiert hat, ist für die Beurteilung der Kraftfahreignung im Sinne von Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ohne Belang.
Die Voraussetzungen eines gelegentlichen Cannabiskonsums im Sinne von Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV sind in der Person des Antragstellers erfüllt. Die Fahrerlaubnis war ihm demgemäß zwingend zu entziehen, ohne dass der Antragsgegnerin ein Ermessen eingeräumt war.
Ein gelegentlicher, d.h. mindestens zweimaliger Cannabiskonsum des Antragstellers liegt hier zur Überzeugung des Gerichts vor. Zu dieser Einschätzung gelangt das Gericht aufgrund der eigenen Einlassungen des Antragstellers, da er im Rahmen der Befragung durch die Polizeibeamten am Tag der Verkehrskontrolle, am Donnerstag, dem 20. Oktober 2016 um 16:21 Uhr angegeben hat, am Wochenende (15./16. Oktober 2016) gefeiert und öfter bei anderen mitgeraucht habe, wobei er nicht ausschließen könne, dass er dabei auch Betäubungsmittel konsumiert habe. Dies hat der Antragsteller im Anhörungsverfahren dahingehend konkretisiert, dass er so "sturzbetrunken" gewesen sei, dass er "an allem kräftig gezogen habe, was dort auf der Party gequalmt habe".
Aus diesen Angaben wird deutlich, dass es angesichts des THC-Werts von 1,2 ng/ml im Blutserum des Antragstellers (Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität E. vom 21. Dezember 2016) nach dem bereits eingeräumten Konsumakt am Wochenende zu weiterem Konsum im zeitlichen Zusammenhang mit der Verkehrskontrolle gekommen sein muss. Denn nach gesicherten Erkenntnissen hält sich der THC - Wert nach einem Erstkonsum nur wenige Stunden oberhalb von 1 ng/ml im Serum und fällt nach etwa 6 Stunden unter 1 ng/ml ab.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 - juris, mit umfangreichen Nachweisen zu den wissenschaftlichen Studien.
Angesichts dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse müsste also der letzte Konsum von Cannabis wenige Stunden vor der Verkehrskontrolle stattgefunden haben. Da die Umstände dieses Konsums indes nicht im Ansatz dargelegt wurden, gehen diesbezügliche Ungewissheiten zu Lasten des Antragstellers.
Das fehlende Trennungsvermögen ergibt sich aus dem festgestellten THC-Wert von 1,2 ng/ml im Blutserum. Nach der aktuell bestätigten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der das erkennende Gericht folgt, führt ein THC-Wert ab 1,0 ng/ml im Blutserum zur Annahme mangelnder Trennung im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 - juris, mit umfangreichen Nachweisen zu der weiteren obergerichtlichen Rechtsprechung und den wissenschaftlichen Untersuchungen.
Das Oberverwaltungsgericht führt unter anderem wörtlich aus: "... Es geht nicht um die bloße Sanktionierung eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr und entsprechend auch nicht ausschließlich um die Frage der Bereitschaft zum Trennen, sondern im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs um die Ausschaltung objektiv bestehender Risiken. Daher beschränkt sich die gefahrenabwehrrechtliche Betrachtung nicht allein auf die Bewertung eines Tuns oder Unterlassens, sondern ist weitergehend und beinhaltet insbesondere auch die Einschätzung einer potentiell gefahrenträchtigen Situation (Rdnr. 62) ... Aufgrund der vorliegenden medizinischen und toxikologischen Feststellungen geht der Senat von gesicherten Erkenntnissen aus, dass ab dem THC - Grenzwert von 1 ng/ml eine Wirkung und damit eine drogenkonsumbedingte Gefährdung des Straßenverkehrs möglich ist (Rdnr. 95) ... Die Grenzwertkommission und zuletzt konkret die beiden der Grenzwertkommission angehörenden Sachverständigen haben dem Senat auch nicht die Überzeugung vermitteln können, dass naturwissenschaftliche Gründe zu einer unterschiedlichen Behandlung des mangelnden Trennens im Ordnungswidrigkeitenrecht einerseits und im Fahrerlaubnisrecht andererseits führen müssen. Dabei haben die Sachverständigen im Termin auf mehrmaliges Fragen bestätigt, dass auch im Licht neuerer Erkenntnisse oder Bewertungen naturwissenschaftlicher Art an der Einschätzung der Richtigkeit der Grenzwertziehung für die Anwendung von § 24a Abs. 2 StVG festgehalten werde (Rdnr. 111)."
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller die Kraftfahreignung mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedererlangt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Zwingende Voraussetzung für die Wiedererlangung der Kraftfahreignung ist grundsätzlich der Nachweis, dass der Antragsteller in der Lage ist, auf den Konsum von Betäubungsmitteln dauerhaft ganz zu verzichten bzw. bei fortgesetzter gelegentlicher Einnahme von Cannabis ein nach den Wertungen der FeV hinnehmbares Konsummuster (Verzicht auf den zusätzlichen Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, Trennung zwischen dem gelegentlichem Konsum und dem Fahren, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust) einzuhalten. Dieser Nachweis kann - wenn wie hier die Voraussetzungen für einen zwingenden Entzug der Fahrerlaubnis vorgelegen haben - grundsätzlich nur im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens durch die Vorlage eines positiven medizinischpsychologischen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 2 FeV geführt werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2012 - 16 B 356/12 -, Rn. 8, juris; OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2006 - 16 B 1538/06 -, Rn. 4, juris.
Einen derartigen Nachweis hat der Antragsteller vorliegend nicht geführt.
Die Interessenabwägung fällt auch im Übrigen zulasten des Antragstellers aus. Denn in aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -, Rn. 50 ff., juris; BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, Rn. 4, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2012 - 16 B 944/12 -, Rn. 11, juris; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012- 16 B 1106/12 -, Rn. 7, juris.
Rechtliche Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung vom 13. März 2017 getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.
Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins folgt aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung ist gemäß §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird in Klageverfahren nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.10.2012 - 16 B 1106/12 -, Rn. 9, juris,
der das Gericht folgt, mit dem Auffangwert des GKG angesetzt. Im Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich dieser Betrag um die Hälfte.